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deutsches theater

© Spiekermann-Klaas

Kultur: Stil auf Zeit

Museen, Theater, Clubs: Überall blühen Projekte, die nicht von Dauer sind. Eine Übersicht über Berlins Provisorien.

Öfter mal was Neues, das hält frisch. Berlin ist ständig im Umbruch. Die Temporäre Kunsthalle etwa, die gerade auf dem Schloßplatz in Mitte eröffnet wurde, trägt ihre zeitlich begrenzte Existenz schon im Namen. Das Projekt ist nur auf zwei Jahre angelegt, passend dazu sind auf der Fassade des Flachbaus gepixelte Wolken zu sehen, Symbole für Veränderung und Vergänglichkeit.

Auf rund 1400 Hektar Berliner Brachen und Baulücken sowie in leer stehenden Gebäuden blühen hunderte temporäre Projekte. „Zwischennutzung ballt sich in den hippen Vierteln“, sagt Beate Profé, Referatsleiterin für Stadtgrün und Freiraumplanung bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. In Kreuzberg, Neukölln, Mitte, Friedrichshain und Prenzlauer Berg ist Platz für Experimente. Provisorien sind hier Ausdruck alternativer Lebensentwürfe – oder Sprungbrett für die künstlerische Karriere.

Der Charme des Vorläufigen ist zudem ein wichtiger Tourismusfaktor. „Hochglanzprovisorien wie die Kunsthalle erzeugen internationale Aufmerksamkeit“, sagt Christian Tänzler, Sprecher der Berlin Tourismus Marketing. „Und nichts ist schöner für einen Gast, als die Dynamik und Kreativität dieser Stadt auch im Kleinen zu entdecken.“ Dabei wird kein Berlinbesuch aussehen wie der nächste. Mittlerweile ist das sogar gewollt. „Eine temporäre Nutzung kann die Attraktivität eines Geländes steigern“, sagt Beate Profé. Für die Zwischennutzer kann dies allerdings zum Problem werden: Wenn ein Ort erst einmal hip geworden ist, sind oft die Investoren am Zug – und die Karawane muss weiterziehen.

Im Moment macht sie Station im früheren Problemstadtteil Neukölln. Die einst von Leerstand und Perspektivlosigkeit geprägte Gegend um die Weserstraße entwickelt sich zum bevorzugten Ausgehkiez für Künstler, Studenten und Partyvolk – und zum wichtigen Standort für Kreativunternehmen. Seit ihrer Einrichtung vor drei Jahren hat die Zwischennutzungsagentur rund 250 Firmen, Läden, Bars und Galerien dabei unterstützt, sich dauerhaft im Kiez anzusiedeln. Die Kneipe „Freies Neukölln“ etwa hat sich zu einer festen Institution entwickelt. Die „Ahoj! Souvenirmanufaktur“ nutzt dagegen bewusst temporäre Räume. „Wir mieten uns ein, wo es gerade interessant ist“, sagt Sprecherin Tanja Dickert. Für die „48 Stunden“ Neukölln beispielsweise mache man regelmäßig einen Laden auf, in dem Neukölln-Artikel wie Buttons oder Postkarten verkauft werden. Im Moment vertreibt die Manufaktur ihre Souvenirs aber über andere Geschäfte wie etwa die Galerie „Colognialwaren“ am Richardplatz 20 – natürlich nur vorübergehend.

Vom Leerstand in der Stadt profitiert auch die Berliner Clubszene. Es gibt immer Platz für Neues – legal oder illegal. Zwar haben die professionell improvisierten Strandbars am Kreuzberger Spreeufer durch das Projekt Mediaspree einen schweren Stand. So musste etwa die „Bar 25“ vorerst schließen, weil der Geländeeigentümer den Zwischennutzungsvertrag gekündigt hat. Die Betreiber des wild-romantischen Kiki Blofeld machen derweil weiter, mit abgespecktem Winterprogramm.

Insider verabreden sich außerdem über E-Mail-Verteiler zu Partys in Kreuzberger Clubs wie der Sportklause. Weil sie Insider bleiben möchten, mögen die Clubs keine Berichterstattung. Manche dieser Projekte wollen dagegen gerne sesshaft werden, wie etwa das seit April geöffnete Rechenzentrum im früheren Rundfunkzentrum der DDR in der Nalepastraße 10 in Köpenick.

Mitunter kommt die Party auch direkt zu den Leuten. Die Raumerweiterungshalle zieht als mobiler Veranstaltungsort durch Berlin. Der in den 1960er und 70er Jahren in der DDR gebaute, teleskopartig ausziehbare Container bietet Raum für junge Kunst, Musik, Literatur, Philosophie und Politik. Zuletzt stand er auf dem ehemaligen Mauerstreifen auf der Grenze von Mitte zu Wedding, seit Oktober 2007 hat er auf dem Gelände der ehemaligen Kindl-Brauerei in der Werbellinstraße 50 in Neukölln ein vorübergehendes Zuhause gefunden.

Vorübergehend wird auch das Schiller-Theater in der Charlottenburger Bismarckstraße wieder bespielt. Seit seiner Schließung im Jahr 1993 kann das Haus für Gastspiele und Veranstaltungen gemietet werden. Dieses Wochenende inszeniert Christian Berg hier das Kindermusical „Peter Pan“. Ab 2010 soll das Schiller-Theater, das mehr als 1000 Besucher fasst, als Interimsbühne für den Sanierungsfall Staatsoper dienen. Die Vorbereitungen hierfür sollen im kommenden Jahr beginnen.

Auch das Deutsche Theater in der Schumannstraße in Mitte greift nicht mehr entschuldigend, sondern selbstbewusst auf Provisorien zurück. Weil das Große Haus renoviert wird, wurden Produktionen für ein halbes Jahr in ein Zirkuszelt ausgelagert. Im Techno-Tempel „Berghain“ am Wriezener Bahnhof läuft der Spielbetrieb des Theaters ebenfalls weiter. So profitiert eine etablierte Institution von der Aura der Subkultur.

Nach dem Vorbild der New Yorker Nachbarschaftsgärten sind in Berlin grüne Zwischennutzungen wie die Gärten im Friedrichshainer Samariterviertel entstanden. Im Sommer 2000 räumten Anwohner hier Müll von einigen Brachen in der Schreiner-, Dolziger- und Voigtstraße und pflanzten dort Blumen. Mit Unterstützung des Bezirks wurden inzwischen Überlassungsverträge mit den Grundstückseigentümern vereinbart, die jährlich verlängert werden müssen.

Manche Provisorien werden gar nicht mehr als solche wahrgenommen – wie etwa das Tacheles in der Oranienburger Straße in Mitte, ein 1990 besetztes, 1998 für eine symbolische Mark pro Monat gemietetes, längst etabliertes und international bekanntes Künstlerhaus. Der Zwischennutzungsvertrag läuft Ende 2008 aus, der Trägerverein hat aber ein Konzept für die Bespielung des Hauses bis 2020. Die Verhandlungen laufen.

Ebenso ungewiss ist die Situation des RAW-Tempels in der Revaler Straße 99 in Friedrichshain. Die Betreiber des soziokulturellen Zentrums auf dem 6000 Quadratmeter großen Gelände des ehemaligen Reichsbahnausbesserungswerks Franz Stenzer sind sich mit der Eigentümergesellschaft uneins. Die wollen hier Wohnungen bauen, Gewerbe und Einzelhandel ansiedeln. Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) vermittelt.

Auch die BMX- und Skateboardanlage Mellowpark in der Friedrichshagener Straße 10 in Köpenick soll zum Jahresende ihr ursprünglich zur Zwischennutzung vorgesehenes Gelände räumen, weil ein Investor bauen will. Der Trägerverein „all eins“ kämpft für einen Alternativstandort in der Wuhlheide. Noch kann allerdings geskatet werden – ein Tagesticket kostet 2, ein Monatsticket 10 Euro.

Die Betreiber des alternativen Kulturhauses Karmanoia in der Mainzer Straße 5 in Neukölln haben sich damit abgefunden, dass sie 2009 ausziehen müssen. Das vor sechs Jahren gegründete Haus mit Kunst-, Konzert-, Theater- und Cafébetrieb soll im März weichen – die Besitzer wollen sanieren. Das Kernteam zerstreue sich dann vielleicht, heißt es im Haus. Oder es werde ein Verein gegründet, „um die Energie weiter zu bündeln“. „Karmanoia“ stehe schließlich auch für ein Lebensgefühl. Im Februar soll es zwei Wochen lang Nonstop-Programm geben, zum Abschied, und um die Idee des Projekts weiterzutragen. Neue Lücken im System werden sich finden.

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