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US-Fernsehserien: Der Obama-Faktor

Kunst und Politik, Fiktion und Wirklichkeit: Wie ambitionierte Polit-Serien den Weg des ersten schwarzen US-Präsidenten vorgezeichnet haben.

Wenn am Dienstag Barack Obama in das Amt des 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten eingeführt wird, ist das nicht nur Stoff für die Nachrichten, sondern auch großer Stoff für die Fiktion, Mit ein wenig Fantasie wird sich Obamas Biografie, Obamas Siegeszug genauso zum Hollywood-Blockbuster aufspinnen lassen wie Harrison Fords Terroristen-Kampf in „Air Force One“ oder Michael Douglas’ Liebesschnurren in „Hallo Mr. President“. Fernsehserien tun sich ungleich schwerer damit, den Alltag von Politikern mit frei erfundenen, aber realitätsnahen Geschichten darzustellen, auch oder gerade wenn sie dabei öfter Spielräume künftiger Präsidenten ausloten. Die Kunst imitiert nicht nur die Politik, sondern die Politik auch mal die Kunst.

Beispiel „The West Wing“, eine von 1999 bis 2006 produzierte US-Serie, die während der fiktiven Präsidentschaft von Josiah „Jed“ Bartlet (Martin Sheen) spielt und den Alltag des demokratischen Amtsinhabers sowie seines Beraterstabs darstellt. Erfinder der Serie ist Aaron Sorkin, der sich neulich in der „New York Times“ mit einem fiktiven Dialog zwischen Josiah Bartlet und Barack Obama über liberale Wunschträume zu Wort meldete. Als ein erstaunlich deprimierter Obama den souveränen Bartlet nach dem Geheimnis seines politischen Erfolgs fragt, gibt dieser zu: „Für mich ist es einfach, ich bin fiktiv.“ Der Titel der Serie – „West Wing“ – bezieht sich auf den Gebäudeflügel des Weißen Hauses, in dem das Oval Office sowie Büros der engsten Berater untergebracht sind. Obwohl Ästhetik und Wortwitz genauso erfrischend sind wie bei „Dr. House“ oder „Desperate Housewives“, wird „The West Wing“ zurzeit im Pay-TV-Sender Fox gesendet.

„US-Politik ist im Unterhaltungsbereich emotional einfach zu weit weg für den deutschen Zuschauer“, erklärt ein RTL-Sprecher. Bleibt die prophetische Kraft der Serie mit sieben Staffeln DVD-Liebhabern empfohlen: Präsident Bartlet wird mittendrin allein deshalb angeschossen, weil seine Tochter eine Liaison mit einem schwarzen Angestellten hat. Am Ende wird ein Hispano namens Matt Santos Präsidentschaftskandidat – nach einem idealistischen Wahlkampf, den Autor Elie Attie auf dem realen Senatswahlkampf eines anderen Jungdemokraten mit Migrationshintergrund basieren ließ. Sein Name: Barack Obama.

Kritiker monierten bei „The West Wing“ die Dominanz linksliberaler Ideologie, was bei einer Serie über eine demokratische Präsidentschaft wohl unumgänglich ist. 2005, am Ende der Ära Gerhard Schröder, wagte das ZDF einen deutschen Ableger: „Kanzleramt“, mit Star-Regie (Hans-Christoph Blumenberg, Co-Autor: Martin E. Süskind) und Besetzung (Klaus J. Behrendt als Kanzler). „Das ZDF will den Zuschauern die Hintergründe der Politik und der damit verbundenen Macht vermitteln. Und das nicht dokumentarisch, sondern als Spielfilm“, verkündete damals ZDF-Programmdirektor Thomas Bellut. Mit einem Kanzler, der zu wenig Zeit für seine 17-jährige Tochter hat, mit politischer Kungelei und dem Einsatz des Kanzlers als Krisenmanager, der Unternehmen vor der Pleite rettet. „Die Realität lässt grüßen“, fand Regierungssprecher Steg, der dem echten Kanzler den Rat gegeben haben soll, sich den fiktiven Kanzler Weyer anzuschauen. Den deutschen Zuschauer interessierte das „Kanzleramt“ allerdings herzlich wenig – eine der größten Pleiten der deutschen Fernsehgeschichte, gemessen an der Erwartungshaltung. Nach zwölf Folgen ließ das ZDF die Serie auslaufen. Am Ende rang der Fernseh-Kanzler wegen einer Tropenkrankheit mit dem Tod. Der echte Kanzler verabschiedete sich am Abend der verlorenen Wahl 2005 mit einem Ausraster im Fernsehen.

Zurück nach Amerika. Fiktion und Wirklichkeit – es geht auch anders. Ronald Reagan, einer der führenden B-Movie-Darsteller Hollywoods, war ein phantastischer Präsidenten-Darsteller. Nicht Hollywood hatte diese Präsidentschaft vorbereitet, sehr wohl aber hatte sich Reagan in Hollywood vorbereiten können. Der Republikaner wurde (wie später „Terminator“ Arnold Schwarzenegger) Gouverneur von Kalifornien, dann wurde er 40. Präsident der Vereinigten Staaten. Wiederwahl inklusive. Es ist nicht so, dass der US-amerikanische Entertainment-Komplex direkt am politischen Gestaltungsprozess teilhaben will. Fiktionale Kommentare zu laufenden Präsidentschaften werden selten abgegeben, Oliver Stones „Bush“-Verriss „W“ kam erst zwei Wochen vor der Obama-Wahl in die Kinos und war dort auch nur mäßig erfolgreich. Da hatte sich das Volk längst seinen Reim gemacht.

Eine Linie von David Palmer zu Barack Obama wäre zu direkt gezogen, trotzdem könnte der erste schwarze Präsident in einer Serie des US-Fernsehens als Selffulfilling Prophecy in puncto Obama durchgehen. Dennis Haysbert spielte den „First Black President“ ab 2001 in der Actionserie „24“. Im Vergleich mit dem Agenten Jack Bauer, einem (republikanischen) Nihilisten, wirkt Präsident Palmer empathischer, skrupulöser, aber nicht weniger entschlossen gegen innere und äußere Feinde. Bauer macht sich die Finger schmutzig, Palmer legt seinen wohlgeformten Präsidenten-Schädel in selbige. Dennis Haysbert hat eine Stimme, die den Amerikanern Versicherungen via TV-Werbung verkaufte, das ist nicht die schlechteste Voraussetzung für die Rolle des Potus (President of the United States). Haysbert spielte über mehrere Staffeln keinen schwarzen Präsidenten, sondern einen Präsidenten, der zufällig schwarz war. „24“ war auch jene Fernsehproduktion, in der der noble Amtsinhaber 2005 einem Attentat zum Opfer fällt. Sein Bruder, Wayne Palmer (gespielt von D.B. Woodside), wurde sein Nachfolger: ein hippeliger, unerfahrener Mann ohne Präsidenten-Gravitas, mit Ziegenbart und kahlem Haupt – fast schon eine Parodie. Wie auch immer, das amerikanische Fernsehvolk hatte sich an einen schwarzen Präsidenten gewöhnt.

War es eine schreckliche Prophezeiung von Dennis Haysbert, als er nach dem Fernsehtod seines Präsidenten sagte: „Noch jeder amerikanische Politiker, den das Land aufrichtig lieben und bewundern gelernt hat, ist umgebracht worden“? Seine Figur wird in der fünften Staffel von „24“ nach 79 Folgen erschossen. Das garantierte Spitzenquoten.

2005 kam die nächste Projektion, die „romantische Vision einer Regierung“, wie die „New York Times“ urteilte: Geena Davis agierte in der Serie „Commander in Chief“, die Sat 1 unter dem Titel „Welcome Mrs. President“ zeigte. Vizepräsidentin Mackenzie Allen steigt nach dem Tod ihres Chefs zur Staats- und Regierungschefin auf. Bei der US-Ausstrahlung wurde die Produktion, die in ihrer Mischung aus Mutti-Charme und Macht-Chuzpe mehr Polit-Soap denn Schlüssel-Serie war, als Glaskugel-Guckerei für eine Präsidentin Hillary Clinton verstanden. Im Nachhinein darf sie als Fingerzeig für eine Sarah Palin gelesen werden, die bei einem Sieg des Obama-Kontrahenten John McCain und unter Berücksichtigung von dessen fortgeschrittenem Alter in die Mackenzie-Allen-Rolle hätte kommen können.

Die Rolle der Vizepräsidentin war in der Serie so angelegt, dass sie für den Präsidentschaftskandidaten Terry Bridges nur als Lockmittel für die Wählerklientel „weiblich, links, Mittelschicht“ dienen sollte. Palin ist Mittelschicht und weiblich, aber derart rechts, dass dort nur noch die Wand kommen kann. Auf jeden Fall war Mackenzie Allen parteilos, ihr Widersacher um das Präsidentenamt ein Republikaner (Donald Sutherland). Die Schlechten handeln immer wie ein Richard Nixon, die Guten erinnern an John F. Kennedy – das demokratisch gesinnte Hollywood will solche Präsidenten: charismatisch, empathisch, moralisch.

Die genannten US-Fernsehserien haben sich weitaus präziser an der Realität orientiert als das US-Präsidentenkino. Sie haben die Zuschauer mit Szenarien konfrontiert, die wie realistische Zukunftsszenarien aussahen. Dass Madam President dabei nur eine Staffel lang regierte, mag Zufall sein. Allens Mann und Stabschef Rod Calloway hatte als „First Lady“/„First Gentleman“ schon genug gelitten. Immerhin: Dem Zuschauer erscheint nach all diesen Serien das Bild einer Frau, eines Schwarzen oder eines Mannes mit hispanischen Wurzeln im Oval Office nicht mehr ganz so bedrohlich oder fremdartig.

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