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Mit der Schreibfeder gegen Pistolen: „L’Ora“-Chefredakteur Antonio Nicastro (Claudio Santamaria).

© Sky

Sky-Serie über sizilianische Zeitung: Fast alle gegen die Mafia

Die zehnteilige Sky-Serie „L’Ora“ setzt der sizilianischen Zeitung ein opulentes Denkmal.

Kommunisten haftet gemeinhin etwas leicht Gräuliches an, die realsozialistische Staubschicht monochromer Autos, Kleider, Gedanken. Theoretisch ganz gut gemeint, ästhetisch freudlos vermittelt. Party machen ist daher definitiv eher liberal als linksradikal beleumundet. Von daher mutet es merkwürdig an, wenn zu Beginn von „L’Ora“ die Korken in der gleichnamigen Tageszeitung aus Sizilien knallen. Feuchtfröhliche Feierlaune in einer kommunistischen Redaktion? Das widerspricht vielen Klischees, die westlich vom eisernen Vorhang bestehen.

Andererseits zoomt die Sky-Serie zurück ins Jahr 1958, und Chefredakteur Antonio Nicastro (Claudio Santamaria) mag vorerst beim Glas Milch bleiben, die er zu jeder Gelegenheit trinkt. Danach folgt er der ausgelassenen Belegschaft durchs Verlagsgebäude, die weniger an „Don Camillo und Peppone“ als „West Side Story“ erinnert. Eine Gang rauflustiger Journalisten mit Borsalino und Schiebermütze, die es mit jedem aufnimmt, sogar der Cosa Nostra. Auch wenn das ein paar Monate vorm Bombenanschlag, der die Party gleich sprengen wird, undenkbar schien.

[„L’Ora – Worte gegen Waffen“, Sky, ab Mittwoch]

Im sizilianischen Corleone, ein Mafia-Dorf, wie wir seit „Der Pate“ wissen, steigt Domenico Sciamma (Giovanni Alfieri) nach einer Rückblende in den Zug, um bei „L’Ora“ anzuheuern. Einer Medienlegende, die Ende der Fünfziger mit Investigativ-Recherchen über den wahren Paten Luciano Leggio für Furore sorgte. Als Domenico voller Euphorie in Palermo ankommt, herrscht dort allerdings Ödnis. Schlagzeile der morgigen Ausgabe: das neue Prostitutionsverbot. Nichts für Sozialisten. Gut, dass Domenico etwas Arbeiter- und Bauernstaatlicheres aus seiner Heimat in die Inselhauptstadt mitbringt.

Schreiben statt Schweigen

Dort wurde ein Gewerkschafter – kommunistisches Kernthema – entführt. Zur Recherche wird der Neuling also nach Hause geschickt – und findet dort Täter, von denen Sizilianer eigentlich nicht reden, geschweige denn schreiben: die Mafia. Damit betreten Original und Fiktion dieser Zeitung Neuland. Denn anders als seine parteipolitisch gefesselten Amtsvorgänger lässt Nicastro sein Team übers kriminelle Treiben der Cosa Nostra und ihre Komplizen aller Führungsschichten berichten. Und wie riskant das ist, haben von „Allein gegen die Mafia“ über „Il Cacciatore“ bis „Gomorrha“ viele Serien über italienische Bandenkriminalität gezeigt.

Vielleicht weichen das Autorentrio Ezio Abbate, Claudio Fava, Riccardo Degni deshalb etwas vom Genre ab. „L’Ora“ ist weder ein moralisierendes noch historisierendes, gar analysierendes Stück Mafia-Unterhaltung, sondern – tja, was bloß? Am ehesten vielleicht ein Musical im Opernhaus. Auf kongeniale Art nämlich wechseln die Regisseure Piero Messina, Ciro D’Emilio und Stefano Lorenzi atmosphärisch zwischen Arthaus und Hollywood, Kammerspiel und Blockbuster, Kintopp und Netflix.

[Alle Folgen des True-Crime-Podcasts Tatort Berlin des Tagesspiegels finden Sie hier]

Mal aufgeblasen wie Actionfilme, mal reduziert wie Autorenkino, erzählt der Zehnteiler vom Aufbegehren der Unterdrückten, ohne ihren Kampf zu heroisieren. Der Redaktion aus Taschendieben, Kehlkopfamputierten und Schwerenötern geht es zwar um die Wahrheit. Doch wenn Nicastro den Namen einer anonymen Zeugin druckt, geht es auch um Auflage. „Ein umgestürzter Baum ist ein umgestürzter Baum“, erklärt der Verantwortliche seinen Wortbruch. „Aber wenn er auf eine Kreuzung fällt, ist es eine Story.“

Rhetorisch dürfte er dem echten Chefredakteur Vittorio Nistico damit ähneln. Ansonsten aber dramatisiert Claudio Santamaria seine Kunstfigur in einer flamboyanten Mixtur aus Dick Tracey und Kurt Tucholsky. Trotz – wie wir 30 Jahre nach dem Ende der „L’Ora“ und anhaltender Macht lokaler Paten wissen – aussichtsloser Lage versprüht dieser Kontrast einer mittelalterlichen Feudalgesellschaft im Medienzeitalter damit optimistisches Entertainment der Extraklasse, das die Realität nie schönt.

Jan Freitag

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