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Schwarzbrot adé

© IMAGO

Moritz Rinke sammelt Erinnerungen an die Gegenwart: Mein verschwundenes Schwarzbrot in Antalya

Der türkische Präsident - eine Gestalt, wie von Shakespeare erdacht

Als der türkische Torwart im ersten EM-Spiel der Türkei gegen Kroatien den Schuss von Modric falsch berechnete und damit seine Mannschaft auf die Verliererstraße brachte, stellte ich mir den türkischen Präsidenten vor, wie er in seinem Palast in Ankara saß und sich für den Keeper eine Strafe ausdachte. Nordkoreas Kim Jong-il, so war zu hören, wollte Spieler nach der 0:7-Niederlage gegen Portugal bei der WM in Südafrika bei lebendigem Leibe in Atomsprengköpfe einer Interkontinentalrakete einbauen. Der türkische Präsident hat vermutlich perfidere Mittel, um zu bestrafen. Den Bluttest zum Beispiel.

Oder die Zusendung von Seidenschnüren. Als Kara Mustafa, der Oberbefehlshaber bei der zweiten Belagerung Wiens, zu Beginn des Großen Türkenkrieges die Schlacht am Kahlenberg verlor, schickte ihm der Sultan die Seidenschnur. Angeblich hat der türkische Präsident jetzt so eine Schnur nach Louisville zu den Organisatoren der Trauerfeier für Muhammed Ali geschickt. Der Präsident, dessen Regierungszeitungen ihn mit Muhammad Ali und der „Faust des Islam“ vergleichen, wollte ein Stück des mit Koran-Versen verzierten Stoffes aus der großen Moschee in Mekka auf Alis Sarg legen, was ihm nicht gestattet wurde. Dann wollte der Präsident bei der Zeremonie Koran-Verse vortragen, was ihm auch nicht gestattet wurde, worauf seine Bodyguards mit Bodyguards der Trauerfeier aneinandergerieten und der Präsident beleidigt abreiste, um sich wieder ganz den Forderungen nach Bluttests für türkischstämmige Abgeordnete zu widmen, die der Armenien-Resolution im Bundestag zugestimmt hatten.

Im Übermaß beleidigt

Was wäre dieser türkische Präsident für eine Figur für Shakespeare gewesen! Richard III. und Macbeth sind geradezu langweilig und eindimensional gegen das, was vom türkischen Präsidenten wöchentlich kommt. Ob das mit den Seidenschnüren nach Louisville stimmt oder nicht, Shakespeare hätte es übernommen!

Ich schreibe an dieser Stelle ja regelmäßig über diese wahnsinnige Figur. Und ich habe mich immer gefragt, was wohl passieren würde, wenn wir dieser Figur zu nahe kämen, uns mit ihr einließen, so wie man mal Fremden einen Gefallen tut und am Ende hat man einen Stalker am Hals, einen Irren, einen im gigantischen Übermaß Beleidigten, weshalb ja auch das Böhmermann-Gedicht so kontraproduktiv war, weil es leider wirklich nachvollziehbar beleidigend war.

Vergangene Woche war ich in Antalya bei meinem Bäcker, bei dem ich mein Brot kaufe, weil er nicht nur Weißbrot hat, sondern auch Schwarzbrot, ich sage immer: „Lütfen Alman ekmek“ – Bitte das deutsche Brot! Dann lacht der türkische Bäcker und weiß, was gemeint ist. Nun war das Brot nicht mehr da und das Lachen des türkischen Bäckers auch nicht. Kein Wort, kein Gruß, kein Brot. Hinter seinem Tresen sah ich die Zeitungen, die er verkauft, es waren all diese regierunstreuen Blätter von „Yeni Safak“ bis „Sabah“, in denen nichts Wahres mehr steht, von den Fußballergebnissen abgesehen.

Der eigentliche Feind

Es gibt einen Film eines jungen türkischen Filmemachers, der diese neue, ständig beleidigte Präsidententürkei kaum besser beschreiben könnte, allerdings ist der Film schon von 2012. In „Beyond the Hill“ hetzt ein Forstverwalter seine Familie gegen unsichtbare Feinde hinter dem Hügel auf, und die Familie merkt nicht, wer der eigentliche Feind ist, bis die vermeintliche Bedrohung durch die Feinde zum regelrechten Nervenkrieg wird.

Ähnlich ist es mit der Forderung nach den absurden Bluttests, der verpesteten Trauerfeier für Muhammad Ali. Oder dem Verschwinden meines Schwarzbrots in Antalya.

Von Moritz Rinke

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