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Lotto

© - Foto [M]: getty (2), dpa

Jackpot: Baugenehmigung für Luftschlösser

An diesem Samstagabend geht es wieder um das große Glück. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Jackpot von einem Lottoscheinbesitzer geknackt wird, ist sehr gering. Trotzdem geben sich viele Spieler der Hoffnung hin.

Von Andreas Oswald

35 Millionen. Eine repräsentative Stadtvilla in der Londoner Park Lane in Mayfair, 2000 Quadratmeter Wohnfläche, Blick auf den Hyde Park, ist für 16 Millionen Euro zu haben. Da bleibt noch etwas für die täglichen Ausgaben übrig, Cocktails, Shoppen, Party ohne Ende. Heute Abend ist es so weit. 35 Millionen liegen im Jackpot.

Nun sind die Illusionen des Lottospielens in schöner Regelmäßigkeit der Kritik ausgesetzt. Nur 1:140 Millionen beträgt die Chance auf einen Hauptgewinn. Kein vernünftiger Mensch dürfte sich auf ein solches Spiel einlassen. Psychologen, Suchtberater und Mathematiker werden nicht müde, vor dem Spiel zu warnen. Jedes Mal, wenn der Run auf den Jackpot losgeht, wird diese Kritik wiederholt. Die Menschen hat dies interessanterweise nie beeindruckt, außer jene, die ohnehin nie Lotto spielen. Letztere nehmen entsetzt zur Kenntnis, dass plötzlich Freunde, Kollegen, die bisher als vernunftbegabt galten, bekennen, mitzumachen.

Jeder Lottospieler weiß, wie gering seine Chancen sind. Es ist ein Phänomen, dass Lottospieler gegen Aufklärung gänzlich immun sind. Vielleicht ist es Zeit, einmal darüber nachzudenken, ob das Lottospielen für die Spieler vielleicht eine eigene Rationalität hat.

Wer einmal in der Woche einen Lottoschein für zwölf Euro ausfüllt, bekommt für 624 Euro im Jahr das jede Woche neu aufflammende Hochgefühl, vielleicht am nächsten Samstag der Auserwählte zu sein. Diese Hoffnung, diese Illusion – ist sie nicht 624 Euro im Jahr wert?

Es gibt in gewisser Weise auch eine tiefe mathematische Rationalität: Dieses Auserwähltsein ist direkt gekoppelt an eine besonders niedrige Gewinnwahrscheinlichkeit, sonst wäre es ja etwas Gewöhnliches. Einmal auserwählt sein, einmal belohnt werden, nicht für Leistung, sondern dafür, dass man ohne weitere Begründung ein toller Mensch, ein Glückskind ist. Und das für nur zwölf Euro. Es gibt teurere Methoden, sich mit Geld ausgeben Gefühle zu verschaffen. Wie das mit der Gefühlsbeschaffung durch Lotto genau geht, gab gestern die Charité bekannt. „Die Vorfreude auf die Ziehung der Lottozahlen kann zur Ausschüttung von Hormonen wie Dopamin und Adrenalin führen“, sagte Chantal Mörsen, Leiterin der Arbeitsgruppe Spielsucht der Charité-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Dadurch könne man auch ein gewisses Kribbeln spüren. „Wer die Ziehung dann live verfolgt, kann sich teilweise sogar regelrecht euphorisch fühlen – das liegt unter anderem an den Endorphinen.“

Das Thema Spielsucht ist ein ganz anderes Thema. Wer Lotto als Sucht betreibt, kann sich ruinieren. Das gilt aber für vieles, wenn man es als Sucht betreibt.

Es gibt viele Wege, Geld zu verlieren. Wer handelt rationaler? Lottospieler, Roulette-Spieler oder Aktienkäufer? Roulette-Spieler fühlen sich möglicherweise Lottospielern überlegen. Beim Roulette stehen die Chancen 1 : 37. Das ist deutlich besser als beim Lotto. Ansonsten gilt Gleiches: Kein System kann die Bank überlisten. Der Spieler verliert. Außerdem gibt es einen wichtigen subjektiven Faktor. Wer mal gewonnen hat, kommt wieder. Bis er verliert. Aktienkäufer fühlen sich möglicherweise Roulette- und Lottospie lern überlegen. Dabei gehen sie mitunter viel irrationaler vor, obwohl sie glauben, sie handelten vernünftig. Das ist vielleicht sogar der Kern, warum viele Kleinanleger am Aktienmarkt Geld verlieren. Sie kaufen eine Aktie, weil sie glauben, etwas zu wissen, und weil sie glauben, cleverer zu sein als andere. Oder sie wollen zum Club jener gehören, die bei steigenden Aktienmärkten mit ihren Gewinnen prahlen. Sie haben dann viele Argumente auf Lager, die denen ähneln, die Anlageberater und Fondsverkäufer aufbieten, um Kleinanleger dazu zu bringen, ihr Geld bei ihnen abzugeben. Um solche Leute ist es etwas still geworden, doch es ist gewiss, dass sie sich wieder melden werden, wenn die Rennerei eines Tages wieder losgeht. Es kann sein, dass kluge Rationalität den einen oder anderen am Aktienmarkt reich gemacht hat, das heißt aber nicht, dass man selber zu diesen Leuten gehören wird, selbst wenn man deren Prinzipien beherzigt. Es gibt Studien und Abhandlungen, die zeigen, dass gerade Leute, die in ihrem Beruf erfolgreich sind, den falschen Schluss ziehen, sie müssten wegen ihrer Intelligenz auch am Aktienmarkt Erfolg haben. Meist ist das Gegenteil der Fall. Je rationaler und intelligenter die Analyse ist, desto selbstbewusster hält der Schlaue an seiner Marktmeinung fest, wenn die Kurse in die entgegengesetzte Richtung gehen. Ergebnis: Er lässt die Verluste laufen.

Ein Experiment – das der sogenannten „Turtle-Trader“ – ergab, dass eine präzise formulierte Handelssystematik, die an der Börse hohe Gewinne abwerfen kann, bei jedem Menschen, dem sie mitgeteilt wird, unterschiedliche Ergebnisse hervorbringt. Das muss man sich einmal vorstellen: Ein strenges Regelwerk mit klaren mathematischen und technischen Anweisungen, die keinen Deutungsspielraum lassen, führt bei 20 hochintelligenten Menschen dazu, dass der eine Akteur Millionen Profit macht und der andere Verlust. Trotz rationaler Vorgaben handelten die Akteure irrational. Es gibt einen subjektiven Faktor, der das Denken beherrscht. Der Lottospieler weiß, dass seine Chancen nahe null liegen. Der Anleger, der Aktien kauft, meint, Entscheidendes zu wissen, handelt aber in Wirklichkeit nach seiner subjektiven Meinung und weiß letztlich nichts. Wer von beiden handelt rationaler?

Niemand kann die Zukunft vorhersagen, niemand weiß, wie sich ein Kurs bewegen wird. Jeder Ansatz, der diese Tatsache ignoriert, führt in den Abgrund. Die Zahl derer, die mit Aktien Geld verloren haben, ist immens, und für viele, die einen aktienbasierten Teil ihrer Alterssicherung bei niedrigen Kursen ausbezahlt bekommen, ist das ein ernstes Thema.

Wer es partout nicht lassen kann, könnte zwei Überlegungen anstellen, die nichts mit Börsenwissen, dafür etwas mit Risikokontrolle und Wahrscheinlichkeitsrechnung zu tun haben. Die Verluste begrenzen, Gewinne laufen lassen und sichern: Nach dem Kauf eines Wertpapiers eine „Stop-loss -Order“ aufgeben, die beispielsweise 25 Prozent unter dem Kaufkurs liegt. Das Papier wird dann automatisch verkauft, wenn der Kurs unter diese Marke sinkt. Der Verlust ist damit begrenzt. Wenn dagegen der Kurs steigt, kann die Stop-loss-Order immer weiter nach oben angepasst werden und kann irgendwann zu einer Gewinnrealisierung führen.

Wer bei einem Kauf nie mehr als ein Prozent des Spekulationskontos riskiert – das heißt: der begrenzte 25-prozentige Verlust entspricht einem Prozent des insgesamt zur Verfügung stehenden Spekulationskapitals –, hat selbst bei einer Pechsträhne von zehn Verlusttrades hintereinander immer noch mehr als 90 Prozent seines Kontos gesichert. Er schläft gut und hat eine Chance, bei Gewinntrades wieder ins Plus zu kommen.

Bleibt die sichere Variante. Wer Geld bei der Finanzagentur der Bundesrepublik Deutschland in Staatsanleihen anlegt, wird jede Finanzkrise überstehen. Und kann sich dann ruhig auch mal einen Lottoschein leisten.

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