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Mit Ansage eskaliert: Nato-Soldaten bewachen ein Rathaus im Ort Leposavic.

© REUTERS/FATOS BYTYCI

Was ist los im Kosovo?: Selbst die Schutzmacht USA ist nachhaltig verärgert

Washington macht Kosovaren mitverantwortlich für Eskalation und sagt Militärmanöver ab. Die Antworten auf die wichtigsten Fragen zu einem Gewaltausbruch mit Ansage.

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Die Ausschreitungen mit 80 verletzten Nato-Soldaten und serbischen Zivilisten im Nordkosovo markieren den schlimmsten gewaltsamen Konflikt der vergangenen Jahre in dem kleinen Balkanland.

Im Kosovo, das sich 2008 für unabhängig erklärte und vom Nachbarland Serbien nicht anerkannt wird, leben heute fast zwei Millionen Albaner, im eher ländlich geprägten Norden des Landes an der Grenze zu Serbien rund 50 000 Serben.

Mit dem Staat Kosovo, der ehemaligen serbischen Provinz, wollen letztere nichts zu tun haben.

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Wie kam es zu dem jüngsten Zusammenstoß?

Hintergrund ist die Wahl albanisch-stämmiger Bürgermeister, nachdem die serbischen Amtsträger auf Geheiß Belgrads im April zurückgetreten waren. Die Auseinandersetzungen begannen am Freitag.

Militante Serben griffen die Kosovo-Sonderpolizei an, die im Ort Zvecan den neu gewählten albanisch-stämmigen Bürgermeister ins Amt eskortierte. Bereits da gab es Verletzte.

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Millionen Albaner leben im Kosovo.

Die Nato-geführte Friedenstruppe KFOR, die mit UN-Mandat für Sicherheit sorgen soll, rückte ein, um die Gemeindeämter in Zvecan und zwei weiteren Orten zu schützen.

Was genau passierte dann?

Am Montag hatten sich wieder Serben zu Protesten gegen die neuen Bürgermeister versammelt. Sie verlangten den Abzug der Kosovo-Polizei. Fahrzeuge der Polizei standen noch beim Gemeindeamt. Am Nachmittag hätten sie wegfahren sollen, doch das ließen die Demonstranten nicht zu. Die KFOR-Einheit setzte zur Auflösung der Proteste Tränengas ein.

Hunderte ethnischer Serben tragen eine srbische Flagge durch den Ort Zvecan, um gegen die Amtseinführung albanischer Bürgermeister zu protestieren.

© AFP/stringer

Dann eskalierte die Situation. Serben warfen Blendgranaten und Steine auf die Soldaten und griffen sie mit Schlagstöcken an. 30 Soldaten und etwa 50 Serben wurden verletzt.

Wer sind die militanten Serben?

Schläger aus dem Milieu der Fußball-Hooligans und Kleinkriminelle. Eingespannt werden sie von lokalen serbischen Politikern und windigen Geschäftsleuten, die wiederum im Interesse Belgrads handeln.

Viele der militanten Serben sind Schläger aus dem Milieu der Fußball-Hooligans und Kleinkriminelle.

© REUTERS/LAURA HASANI

Warum richten sich die Proteste gegen die neuen Bürgermeister?

Weil sie Albaner sind und aus Wahlen hervorgingen, die die Serben auf Geheiß Belgrads boykottierten. Die Beteiligung lag unter vier Prozent. Die serbischen Amtsträger waren zurückgetreten, weil die Regierung in Pristina endlich durchsetzen wollte, dass die Serben im Nordkosovo kosovarische Kfz-Kennzeichen verwenden und keine serbischen.

Was bezweckt Serbien?

Das Kosovo gehörte einst zu Serbien und Jugoslawien. Serbien betrachtet es als mythisches Zentrum des mittelalterlichen serbischen Reichs. Im Gefolge von Jugoslawiens Zerfall intervenierte die Nato 1999 mit Luftangriffen gegen Serbien, um Kriegsverbrechen serbischer Sicherheitskräfte gegen albanische Zivilisten im Kosovo zu stoppen.

Das Land kam unter UN-Verwaltung und erklärte sich 2008 für unabhängig. Serbien erkannte dies nie an und beharrt auf der Rückgabe seiner ehemaligen Provinz. Im Norden des Landes, an der Grenze zu Serbien, befindet sich ein kompaktes serbisches Siedlungsgebiet.

Bislang sind 3800 KFOR-Soldaten im Kosovo stationiert.

© AFP/ARMEND NIMANI

Warum sind die Probleme nicht längst gelöst?

Die EU und die USA haben seit 1999 viel diplomatische Energie investiert. Die meisten westlichen Länder wie Deutschland, Großbritannien und die USA erkannten das Kosovo 2008 sofort an – fünf EU-Länder aber bis heute noch nicht: Spanien, Griechenland, Slowakei, Rumänien und Zypern. Das ist ein Manko für die EU-Diplomatie.

Serbien unter Präsident Aleksandar Vucic stützt sich auf Russland, das unter Wladimir Putin schon vor dem Ukraine-Krieg selten eine Gelegenheit ausließ, um dem Westen geopolitisch zu schaden. Experten kritisieren, dass dem Westen eine Strategie fehlt – nicht nur für das Kosovo, sondern für die gesamte Region.

Wie reagiert die Schutzmacht USA?

Die Ausschreitungen zu Wochenbeginn im Nordkosovo seien „völlig unnötig“ gewesen, ärgerte sich der US-Botschafter Jeffrey Hovenier auf einer Pressekonferenz über Pristinas Anordnung, den neuen albanischen Bürgermeistern in den überwiegend serbisch besiedelten Kommunen im Norden gewaltsam Zugang zu verschaffen.

„Nachdrücklich“ habe die US-Botschaft Kosovos Regierung von dem Polizeieinsatz in den Rathäusern abgeraten und stattdessen für die neuen Bürgermeister „alternative Amtssitze“ empfohlen, so Hovenier. Denn die Folgen seien „zu erwarten“ gewesen – „negative Auswirkungen“ auf das Image des Kosovo, auf die Anstrengungen, das Verhältnis zwischen Kosovo und Serbien zu normalisieren sowie auf Pristinas bilaterale Beziehungen zu Washington.

Welche Folgen hat das?

Ihrer Verärgerung über den als unkooperativ kritisierten Partner Kosovo lässt die verschnupfte US-Schutzmacht derweil Sanktionen folgen. Die geplante Teilnahme von Kosovo an dem Nato-Manöver „Defender Europe 2023“ sei „abgesagt“, so Hovenier.

Gleichzeitig deutete er weitere, wesentlich schmerzhaftere Strafmaßnahmen an: Derzeit sei in den USA der „Enthusiasmus nicht sonderlich groß“, sich für neue Anerkennungen des Kosovo oder dessen Zutritt in internationale Organisationen zu engagieren.

Wohl nirgendwo in Europa ist die Verehrung der fernen USA so groß wie im Kosovo. Aus Dank für den Beistand im Kosovokrieg 1999 wurde Ex-US-Präsident Bill Clinton am gleichnamigen Boulevard in Pristina 2009 bereits zu Lebzeiten ein überlebensgroßes Denkmal errichtet.

Die USA waren und sind der wichtigste Fürsprecher und Pate von Kosovos 2008 erklärter Unabhängigkeit. Doch nun hängt der bilaterale Haussegen schief. Washington lastet Pristina die Mitverantwortung für die Gewalteskalation im Nordkosovo an.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell erklärte: „Gewalttaten gegen Bürger, gegen Medien, gegen Strafverfolgungsbehörden und die KFOR-Truppen sind absolut inakzeptabel.“

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg kündigte die Entsendung weiterer 700 Soldaten an. Bislang sind 3800 KFOR-Soldaten im Kosovo stationiert, auch 70 Deutsche. (mit dpa)

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