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„Pat“ von Amy Sillman, 2017.

© David Regen, Courtesy Capitain Petzel / Amy Sillman

Amy Sillman in der Galerie Capitain Petzel: Immer zu zweit

Zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion: Die amerikanische Malerin Amy Sillman zeigt Paar-Bilder in der Galerie Capitain Petzel.

Einsam im oberen Stockwerk der Galerie Capitain Petzel hängt das Gemälde „Rapunzel“. Vor blassgelbem Bildraum schweben senkrecht drei graue Pinselspuren, die tatsächlich an wallendes Haar erinnern. Ganz unten im Pavillon flimmert Amy Sillmans Video zu Ovids „Metamorphosen“ über die Kellerwand. Es gibt lose Bezüge zu Märchen und Mythen bei der 1955 in Detroit geborenen, in New York lebenden Künstlerin. Doch es bleibt dabei: Malerei ist kein Erzählmedium.

Und obwohl Sillman eine sichtbare Affinität zu Bildergeschichten hat, ist sie auch keine figurative Malerin. „Ich werde oft gefragt“, so die Künstlerin, „weshalb meine Bilder stets zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion tanzen. Das ist bei mir so: Es geht immer um Übergänge“. 22 Arbeiten auf Leinwand oder Papier zeigt Sillman in ihrer zweiten Soloausstellung bei Capitain Petzel (Preise: 20 000–250 000 Dollar). Es sind spröde, wunderschöne, auf schwer erklärliche Weise unbequeme Werke.

Sillman ist eine Spätzünderin, erst seit 2014 spielt sie in der internationalen Liga, damals wurde sie zur Whitney-Biennale eingeladen. Zuvor flog die Künstlerin unter dem Radar des Kunstbetriebs. Die erste Schau einer Galerie fand 1991 statt, die erste große Retrospektive erst vor drei Jahren in Boston. 2007 war sie in Europa noch ein Geheimtipp, als einige Werke in der Galerie Carlier Gebauer zu sehen waren – Sillmans Berlin-Premiere.

Keine perfekte Symmetrie

Der aktuelle Ausstellungstitel „ein Paar“ bezieht sich weniger auf die fragmentarischen Figuren . Vielmehr geht es der Malerin um Bilderpaare, wie im Fall der nebeneinandergehängten Blätter „SK2“ und „SK3“: Links sieht man zwei schemenhafte Gestalten vor blau aquarelliertem Grund, die offenbar Sex miteinander haben. Rechts, auf dem formal ähnlichen Bild, haben sich die figurativ-obszönen Anmutungen aufgelöst. Bilder organisieren sich, Bilder verflüchtigen sich. In der Ausstellung kann man der Künstlerin beim Denken zusehen.

Was Sillman mit dem Titel „ein Paar“ vor allem meint, ist die Idee der Zweiheit. Dass es keine perfekte Symmetrie gibt. Mit dem Körper fange das an. „Du hast zwei Beine“, sagt die Künstlerin, „aber wie bewegst du dich, wenn das eine Bein kürzer ist als das andere?“ In ihren Texten hat sie mitunter über „Awkwardness“ (das Linkische, auch das Peinliche) geschrieben. Auf dem Bild „Song Cave“ von 2017 verbirgt eine weibliche Figur schamvoll das Gesicht mit den Händen. Dann, wie in einer Doppelbelichtung, sind die Hände ein zweites Mal zu sehen, diesmal tiefer. Ihre dünnen Arme sind so gemalt, dass sie Negativräume bilden. Wie Maria Lassnig, obwohl formal deutlich anders, verbindet Sillman Komik mit skeptischer Selbstbespiegelung.

Körper, Waffen, Sex, Gewalt

Das duale Prinzip ist die Keimzelle des Seriellen: Am deutlichsten auf elf Blättern mit gelben Flächen und schwarzen Konturen, die um eine Raumecke herum angeordnet sind. Sie wirken wie Storyboards für einen verschollenen Trickfilm, der einmal von Körpern, Waffen, Sex und Gewalt erzählt hat. Sie hätte Filmemacherin werden können, erzählt Sillman. „Zeit und Wechsel, die Bewegung von einem Zustand zum nächsten, das bedeutet mir viel“, sagt sie. Im Untergeschoss ist ihre Videoanimation „After Metamorphoses“ zu sehen. Der 5-Minuten-Schnelldurchlauf durch die „Bücher der Verwandlungen“ des römischen Dichters Ovid entstand in Zusammenarbeit mit der Musikerin Wiebke Tiarks; die Hintergründe malte die Künstlerin in einer Berliner Badewanne, die Cartoons zeichnete sie auf dem iPad. Eine Hand pflückt Argus’ Augen und setzt sie einem Pfau in die Federn, Io wird von Zeus in eine Kuh verwandelt. Metamorphosen im Sekundentakt. Ein grausam-witziger Bilderbogen. „Es gibt keine Moral bei Ovid“, sagt Sillman, „die Zeit ist das einzige Gesetz“.

Die Zeit mahlt, Sillman malt. Wie das Licht an wechselhaften Tagen ändern sich die Farben im seriellen Fortgang der Malerei. Gelb verblasst, Gelb vermischt sich mit Morgenröte. Grün strahlt, Grün wird stumpf. Alles fließt, die Zeichnung wandelt sich in irren Volten.

Galerie Capitain Petzel, Karl-Marx-Allee 45; bis 11. 11., Di–Sa 11–18 Uhr

Jens Hinrichsen

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