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Alleskönner. Petrowsky 1976 im Berliner Theater des Westens

© imago/POP-EYE

Der blaue Ton des Ostens: Zum Tod von Ernst-Ludwig Petrowsky

Er gab dem ostdeutschen Free Jazz einen entscheidenden Schub. Nun ist der Saxofonist und Klarinettist „Luten“ Petrowsky mit 89 Jahren gestorben

Von Gregor Dotzauer

Er war Autodidakt – und ein Alleskönner. Ernst-Ludwig Petrowsky konnte im „Jatz“, wie in seiner DDR-geprägten Aussprache die Musik hieß, die er als Saxofonist, Klarinettist und Flötist erst zum Swingen, dann zum Grooven und später auch freien Delirieren brachte, zwischen den Welten mühelos hin- und herspringen. Seinen größten Einfluss gewann er nichtsdestoweniger als Instanz eines ostdeutschen Free Jazz, die auch beim West-Berliner Total Music Meeting und dem Label FMP mit Alben wie „Auf der Elbe schwimmt ein rosa Krokodil“ frühzeitig Widerhall fand.

Petrowsky, am 10. Dezember 1933 in Güstrow geboren, hatte sich als Gründungsmitglied des für die DDR Anfang der 1960er Jahre stilprägenden Manfred Ludwig Sextetts aus Görlitz einen (Vor-)Namen gemacht, der gerne zum norddeutschen „Luten“ verkürzt wurde. Er hatte an der Seite von Ulrich Gumpert mit SOK Rockjazz gespielt, war mit ihm, dem Pianisten, sowie dem Posaunisten Conny Bauer und dem Schlagzeuger Günter „Baby“ Sommer dann aber zur Free-Jazz-Formation Synopsis weitergezogen, die als sogenanntes Zentralquartett Mitte der 1970er Jahre für das Genre tatsächlich zentrale Bedeutung gewann. Man war sich der US-amerikanischen Konkurrenz von Ornette Coleman oder Cecil Taylor bewusst und setzte gerade deshalb auf eine sehr deutsche, wenn man so will sogar teutonische Variante des freien Spiels, in der auch heimisches Material zertrümmert wurde.

Das Scharfe und Schneidende seines Tons konnte in anderen Kontexten auch überraschend sanft und zärtlich werden. Insbesondere mit Uschi Brüning, der ursprünglich aus dem Schlager kommenden Sängerin, die er 1982 heiratete, lebte er auf der Bühne ein Talent zum Entertainer aus, das man dem radikalen Ekstatiker nicht unbedingt zugetraut hätte. Petrowsky war Teil einer Generation, die sich ihren eigenen Weg durchs restriktive Unterholz der DDR bahnte. Er behielt über all die Jahre aber auch stets seine Neugier auf jüngere Musiker und spielte bis 2016 ein geschlagenes Jahrzehnt im New Old Luten Trio mit dem Schlagzeuger Christian Lillinger und dem Pianisten Oliver Schwerdt. Unter den vielen Auszeichnungen, die Petrowsky gewann, war zuletzt der Deutsche Jazzpreis 2022, den schon seine Frau entgegennehmen musste. Seit Jahren schwerkrank und pflegebedürftig, ist Luten Petrowsky nun im Alter von 89 Jahren gestorben.

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