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AUFGESCHLAGEN Zugeschlagen: Werwölfe im Ossi-Shop

Denis Scheck, Literaturredakteur im Deutschlandfunk, bespricht einmal monatlich die "Spiegel"-Bestsellerliste. Heute: Belletristik

10) Carlos Ruíz Zafon: Das Spiel des Engels (Deutsch von Peter Schwaar, S. Fischer Verlag, 712 Seiten, 19,95 €)

Tempo- und actionreich schildert Ruíz Zafon sein heiß geliebtes Barcelona in dieser in den 20er Jahren angesiedelten unterhaltsamen Geschichte um einen Teufelspakt und einen zum James Bond der Bücher mutierenden Schriftsteller. Warum „Das Spiel des Engels“ dennoch bloß ein Schmöker ist, liegt an einem Umstand, den Ruíz Zafon auf Seite 682 seines Romans sehr schön auf den Punkt bringt: „,Glauben Sie wirklich, ich hätte all diese Leute umgebracht, Inspektor?‘ Er hob den Revolver und zielte auf mein Herz. ,Ich weiß es nicht, und es ist mir auch schnurzpiepegal.‘“ Genau.

9) Cornelia Funke: Tintenblut (Dressler Verlag, 707 Seiten, 22,90 €)

Ein Mann aus einer fremden Welt möchte nach Hause, wo der Tod auf ihn wartet. Dieser Mann heißt Staubfinger, und sein Zuhause ist ein Buch. Der Mittelband von Funkes Tintenwelt-Trilogie ist erstklassige Fantasy: ein Roman, der Liebe zur Literatur zu wecken oder neu zu entfachen vermag.

8) Uwe Tellkamp: Der Turm (Suhrkamp Verlag, 976 Seiten, 24,80 €)

Drangsal, Elend und Gemeinheit im Alltag der DDR lässt sich aus diesem mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnete Roman erfahren. Uwe Tellkamp hat in seinem hauptsächlich in Dresden spielenden „Turm“ die letzten sieben Jahre des anderen deutschen Staates in zum Teil berührenden Szenen aufbewahrt. Allerdings überlädt er diesen Roman durch die Anhäufung von Detail um Detail um Detail. Ergebnis: ein Roman wie ein bis zum letzten Quadratzentimeter vollgestopfter Ossi-Shop.

7) Cornelia Funke: Tintenherz (Dressler Verlag, 575 Seiten, 19,90€)

Band eins des für Erwachsene und Kinder gleichermaßen spannend zu lesenden Tintenweltzyklus erzählt von der Buchbinderstochter Meggie, deren Vater eine „Zauberzunge“ ist, also durch Vorlesen Figuren aus Büchern Wirklichkeit werden lassen oder Menschen in Bücher hineinlesen kann. Eine faszinierende Parabel über Leben und Literatur.

6) Joanne K. Rowling: Die Märchen von Beedle dem Barden (Aus den ursprünglichen Runen übertragen von Hermine Granger und aus dem Englischen übersetzt von Klaus Fritz, Carlsen Verlag, 110 S., 12,90 €)

Wirklich nur etwas für Harry-Potter-Süchtige: ironische Märchen, kommentiert von Professor Albus Dumbledore, geschrieben von J. K. Rowling – für einen wohltätigen Zweck. Ein Buch, so spannend wie eine Obdachlosenzeitung.

5) Charlotte Roche: Feuchtgebiete (DuMont, 219 Seiten, 14,90 €)

Wenig fürchte ich mehr als die Reaktion im Gewand der Avantgarde. „Loch gleich Muschi“ heißt die Spielregel dieses Pipi-Kacka-Pamphlets um das Scheidungskind Helen Memel, das nur eines möchte: dass sich Mami und Papi wieder richtig doll lieb haben. Ein nicht nur sprachlich armer Roman.

4) Stephenie Meyer: Bis(s) zum Abendrot (Deutsch von Sylke Hachmeister, Carlsen Verlag, 557 Seiten, 19,90 €)

Dieses alberne Buch liest sich, als hätte die Autorin einen Liebesroman der 30er Jahre, in dem ein Ölmagnat aus Texas und ein Rancher aus Oklahoma um das Herz desselben Mädchen buhlen, in die Gegenwart übersetzt. Bei Meyer ist der Ölmagnat ein Vampir, der Rancher ein Werwolf, sonst aber ist alles gleich: Das meist passive Mädchen heißt Bella, kann gar nichts und sagt zu Edward oder Jacob am liebsten Sätze wie: „Kämpf!“

3) Simon Beckett: Leichenblässe (Deutsch von Andree Hesse, 415 Seiten, 19,90 €)

Ein Leichenporno. Handwerklich okay, aber fad wie eine Dosensuppe. Der Held, Dr. David Hunter, ist Brite, hat von Arzt auf forensische Anthropologie umgesattelt und bei einem Autounfall Frau und Tochter verloren. Im letzten Roman wurde er von einer Serienkillerin mit dem Messer fast massakriert und trifft nun während einer Fortbildung in den USA, frisch verlassen von seiner Londoner Freundin und immer wieder seine Narbe am Bauch betastend, einen perversen Serienkiller. Mindestens so pervers wie der Killer ist des Autors Hang zur Übercharakterisierung.

2) Stephenie Meyer: Bis(s) zur Mittagsstunde (Deutsch von Sylke Hachmeister, Carlsen Verlag, 557 Seiten, 19,90 €)

Weil Band eins dieses Schmarrns gerade verfilmt im Kino läuft, steht auch Stephenie Meyers zweiter Roman um Bella und ihren Vampir auf der Bestsellerliste. Sonst wüsste ich auch wirklich keinen Grund dafür anzugeben.

1) Daniel Kehlmann: Ruhm (Rowohlt, 203 Seiten, 18,90 €)

Neun Geschichten über weltweite Kommunikationsnetze und was diese anzurichten vermögen. Weltliteratur? Vielleicht. Auf jeden Fall: ein gutes Buch. Ganz sicher ein ideales Einsteigerbuch für Leser, die sonst den Literaturmarkt eher verachten. Es gibt ihn – den elegant, intelligent und unterhaltsam erzählten Platz-Eins-Bestseller. Yes, we can!

Denis Scheck, Literaturredakteur im Deutschlandfunk, bespricht einmal monatlich die „Spiegel“-Bestsellerliste, abwechselnd Belletristik und Sachbuch – parallel zu seiner ARD-Sendung „Druckfrisch“ (heute Sonntag, 23.30 Uhr mit den Gästen Daniel Kehlmann und Jürgen Neffe, in memoriam: John Updike.)

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