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Kultur: Rauchende Köpfe

Die Fellows der American Academy im Frühjahr

Von Gregor Dotzauer

Vielleicht ist es ein besonderer Zug der Berliner Gastfreundschaft, sie in eine Geste der Abschreckung zu verpacken. Soweit es sich dabei nicht um proletarischen Charme, sondern um eine ironische Kunst handelt, verstehen sich darauf wenige so gut wie Christoph Markschies, der Präsident der Humboldt-Universität. Wie er den Frühjahrs-Fellows der American Academy am Wannsee die trügerischen Verlockungen des städtischen Berlin ausmalte, hatte Witz, selbst wo es mit der Wahrheit nicht weit her war.

Unter dem Vorwand, die Fellows nicht von ihrer eigentlichen Aufgabe, dem Schreiben von Büchern, abzuhalten, konnte ihm aber auch jedes Mittel recht sein. Dass die Philharmoniker unter Wilhelm Furtwängler dereinst eine bessere Figur abgegeben hätten als heute unter Simon Rattle – eine Gelegenheit, sich einen sinnlosen Zeitvertreib und das teure Ticket zu sparen. Dass Theater wie die Volksbühne alles daran setzten, ihr Publikum vor den Kopf zu stoßen – da spielt man doch nicht den Masochisten. Und dass gleich drei Opernhäuser um die Gunst der Fellows eiferten – eine Überforderung, die den Senat schon bewogen habe, darüber nachzudenken, mindestens eines zu schließen.

Es war die nach einem Herbstsemester im Jahr 2006 berlingestählte Anne Applebaum, die zur Fortsetzung ihres Jahresstipendiums nun erklären konnte, sie sei hier ohnehin mit doppelter Identität. Als Historikerin, die an einem Buch über die politische Transformation Mitteleuropas im ersten Dezennium nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitet, sei sie Frühaufsteherin, arbeitsam und dizipliniert. Als Journalistin jedoch verabrede sie sich zu stundenlangen Essen, trinke zuviel und komme dann morgens nicht aus dem Bett.

Den Projekten der Fellows nach zu urteilen, liegt das Problem aber vor allem in der Beschränkung auf ein Semester. Dem Vertragsbegriff in der Rechtsphilosophie von Thomas Hobbes, dem Claire Finkelstein auf den Grund zu gehen versucht, ist so komplex, dass ihr Finkelstein bereits Jahre gewidmet hat. Und Steven Simon vom Council on Foreign Relations wird nicht in drei Monaten herausfinden, wie es um die Integrationsmöglichkeiten der muslimischen Bevölkerung in Westeuropa steht. Es mag aber schon eine Menge sein, den Kopf im Berliner Wannseewind auslüften und mit neuen Ideen in die Staaten zurückkehren zu können.

Im Fall des Anglisten Kenneth Gross, der einen Essay über die Idee des Puppen- und Marionettentheaters schreibt, kommen sicher noch Begegnungen mit dem deutschen Figurentheater hinzu, die ihn über die Lektüre von Rilke und Kleist hinausführen. Der Philosoph Gregg Horowitz wiederum wird sicher einen Blick in Berlins Galerien werfen und nicht nur auf Kara Walkers Scherenschnitte und Cy Twomblys Kritzelmalerei, die ihn beschäftigen. Für die Kunsthistorikerin Elizabeth Sears, die sich mit dem Ikonologen Aby Warburg und dessen intellektuellem Erbe auseinandersetzt, ist die Nähe zum Hamburger Warburg-Haus eine gute Voraussetzung, um eine Kollektivbiografie von 40 bis 50 Menschen zu schreiben, die sich als Warburgianer betrachten.

Wie immer sind auch Künstler zu Gast. Der junge Komponist Sean Sheperd arbeitet an seinem Musiktheaterdebüt „A Wyoming Opera“ nach einer Story von E. Annie Proulx. Und der Fotograf Mitch Epstein will mit frischer Berliner Kraft über seine Serie „American Power“ nachdenken: Sie zeigt die Schlote, Pipelines und Dämme, die das Bild der USA als Energie erzeugendes und verschwendendes Land prägen. Gregor Dotzauer

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