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Kinderbuch-Autor aus der Ukraine, Volodymyr Vakulenko

© Maria Lysytska-Beskorsa

Yuriy Gurzhys Kriegstagebuch (88): Ein Abend für den getöteten Wolodja

Der ukrainische Autor, DJ und Musiker Yuriy Gurzhy lebt seit 1995 in Berlin. Hier schreibt er über den Krieg in der Ukraine.

Von Yuriy Gurzhy

28.11.2022
Googelt man Wolodymyr Wakulenko, so stößt man auf zahlreiche Fotos, die ihn mit einem Buch in der Hand zeigen. Sein 2014 erschienener bunt illustrierter Gedichtband „Tatuseva Knyga” (Väterchens Buch) für Kinder scheint ein Bestseller gewesen zu sein.

Ein Gedicht daraus, das ich neulich gelesen habe, handelt von einem Jungen, der seinen Papa wie ein Pferd reitet. Die beiden haben verschlafen und eilen in die Kita – es ist lustig und im Gegensatz zu vielen anderen für Kinder geschriebenen Texten, ganz realistisch. Ich als Vater kann mich darin gut erkennen.

Wakulenko lebte mit seinem autistischen Sohn in der Nähe von der kleinen Stadt Isjum – in einem Gebiet, das zwischen März und September unter russischer Kontrolle war. Er wurde seit Ende März vermisst, alle ukrainischen Autoren, die ich kenne, schrieben darüber auf Social Media und machten sich große Sorgen um ihn, hofften aber, er lebe noch. Gestern hat man seine Leiche in einem Massengrab in Isjum gefunden, man konnte feststellen, das er vermutlich schon im April von den Besatzern mit einer Pistole erschossen wurde.

Davon spricht heute auf der Bühne des Berliner Kesselhauses Serhij Zhadan beim Konzert seiner Band Sobaky. Die Ansage kommt gleich nach dem ersten Song und die 700 Fans, die gerade noch applaudiert, gejubelt und gepfiffen haben, verstummen. „Wir spielen heute Abend für Wolodja“, sagt Zhadan, „aber so, als ob er noch leben würde, weil für uns lebt er weiter”.

Für mich ist es das zweite Konzert von Zhadan i Sobaky in einer Woche und ich werde den Eindruck nicht los, dass seit Februar dieses Jahres die Musik der Band eine zusätzliche Dimension bekam - egal worüber Serhij und die Jungs singen, man kann ihre Songs nicht mehr hören, ohne an den Krieg nicht zu denken.

Da das Kesselhaus bei mir um die Ecke liegt, bin ich bereits um 16 Uhr hierher gekommen, um mehr Zeit mit Sobaky zu verbringen – und gleich in einer Falle geraten, weil ich in diesem großen Raum die einzige Person zu sein scheine, die Ukrainisch und Deutsch spricht.

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Ich übersetze für den Techniker vom Haus und für Stas, den Techniker der Band. Stas ist hartnäckig, er redet nicht viel, macht aber seine Arbeit wie ein echter Profi – egal, wo er gerade ist, ob in Berlin, New York oder im Donbass, er schafft es immer, das Maximum aus der vorhandenen PA-Anlage rauszuholen.

Meine Bandkollegen waren von ihm tief beeindruckt, als er uns bei den ukrainischen Konzerten 2016 abgemischt und alle Herausforderungen gemeistert hat. Von dieser Ukraine-Tour reden meine Mitmusiker noch heute, besonders viel gelacht wird über den Auftritt in meiner Heimatstadt Charkiw im Club Misto, wo man öfter Streaptease-Tänzerinnen als Rockbands erlebte. Im September wurde der Ort von russischen Raketen komplett zerstört.

Viele Menschen spenden Powerbanks für meine Landsleute

Während Stas sich mit der Anlage bekannt macht, hocken die anderen im Backstageraum rum. Serhij sitzt auf der Couch und versucht, so gut es geht, auf seinem Rechner zu arbeiten, während alle paar Minuten entweder sein Handy klingelt oder jemand in den Raum kommt und nach ihm fragt: „Serhij, dein Verlag ist da! Serhij, der Fotograf wartet draußen! Serhij, bitte nicht vergessen, die Videobotschaft aufzunehmen!” Er versteckt sich hinter einem Vorhang in der Ecke, das bringt aber nicht viel. Ich frage mich, wie er das aushält.

Sobaky durchsuchen die Webseiten Berliner Eisenwarenläden nach Generatoren. Während russland die ukrainische Infrastruktur beschießt und die Blackouts sich häufen, ist diese Jagd nach Stromerzeugern der neue Nationalsport der Ukrainer.

Auch mein Facebook-Post mit der Bitte, Powerbanks für meine Heimat zu spenden, sorgte für mehr Resonanz als ich erhofft habe, nun melden sich Bekannte und Unbekannte bei mir, mit vielen von ihnen treffen wir uns diesen Abend, da sie auch zum Konzert kommen. Immer wieder gehe ich raus zum Eingang, um ein weiteres Paket abzuholen.

Vor dem Kesselhaus ist Weihnachtsmarkt, es riecht nach gebrannten Mandeln und Glühwein – und ich kann nicht aufhören, an die Ukraine zu denken, wo so viele Leute, die ich persönlich kenne, gerade ohne Strom, ohne Wasser und ohne Heizung leben müssen.  

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