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In einem zerfallenden Kontinent aber wäre auch Deutschland bald keine sichere Einheit mehr.

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22 Jahre Wiedervereinigung: Deutschland – Europa: Die Einheit zerfällt

Der 3. Oktober gilt den meisten Deutschen vor allem als arbeitsfreier Tag, der Rest ist nach 22 Jahren: Gewöhnung. In einem zerfallenden Kontinent wäre aber auch Deutschland bald keine sichere Einheit mehr.

In München feiert Deutschland am Mittwoch seinen Nationalfeiertag. Bayerns Ministerpräsident ist gerade Bundesratspräsident und deshalb der Gastgeber. Aber wer feiert da? In München ist auch Oktoberfest. Dort feiert die Welt, Maß für Maß, und nicht nur nach diesem Maßstab gerät die inländische Einheitsfeier zur eher kleinen Leier.

Der 3. Oktober gilt den meisten Deutschen vor allem als arbeitsfreier Tag, der Rest ist nach 22 Jahren: Gewöhnung, Normalität, und die einstige Wende-Euphorie längst Historie. Helmut Kohl, soeben wieder ins Rampenlicht gerückt, sah die deutsche Einheit als Schritt vor allem zu Europas Einigung. Aber auch die europäische Euphorie scheint im Eishauch der Finanzkrise erst mal verflogen zu sein.

Gleichwohl geht es den gewohnten (oder verwöhnten) Deutschen nach 22 Jahren Wiedervereinigung im Ganzen ziemlich gut. Für Milliarden Menschen, die von Hungerarmut, Bürgerkriegen, Diktaturen, Erdbeben, Wüsten oder Fluten bedroht werden, gleicht dieses Land inmitten Europas einer Insel der Seligen. Auch die meisten anderen Europäer halten Deutschland für einen Hort der Solidität und Prosperität. Zwar sieht die binnendeutsche Nabelschau immerzu tausend neue alte Probleme: Integration, Rente, Demografie, NSU, Energiewende, Grassgedichte, Wulffbriefe, Berlinflughafen, Nürburgring, Betreuungsgeld, Buschkowsky- oder Sarrazinbücher. Und vieles mehr. Aber die meisten Europäer hätten sie gerne – die deutschen Sorgen.

Das gibt den Deutschen allerdings kein Recht zur Selbstgerechtigkeit, geschweige denn zum Übermut. Die Ursache der deutschen Teilung und der Grund für 50 Millionen Kriegstote und Völkermordopfer in Europa war ja die deutsche Politik. Auch das ist Historie, doch Erinnerung und Verantwortung vergehen nicht. Unzählige ältere, jüngere und ganz junge Deutsche leben diese Verantwortung tagtäglich, in nationalen und internationalen Werken, Stiftungen, in der Zusammenarbeit mit Immigranten oder Polen, Israelis, Russen, Franzosen und anderen. Dagegen sind die rechten Ausländerhasser und Krawallmacher eine kleine, dumpfe, dumme Minderheit und werden es, müssen es bleiben.

Neuere Umfragen haben ergeben, dass die Deutschen im Ausland, auch bei ihren einst bekriegten Nachbarn, überraschend beliebt sind. Nicht nur zu Oktoberfestzeiten oder auf Berliner Partymeilen. An dem schönen Außenbild kratzt freilich immer mehr der trotzige Stil der deutschen Eurokrisenpolitik.

In Athen, Madrid oder Rom wird ernstlich zwar niemand erwarten, dass die Bundesregierung nun im griechisch-römischen oder spanischen Stil zu wirtschaften beginnt. Trotz Hakenkreuzbinden auf Merkel-Karikaturen werden deutsche Politik und Ökonomie auch in Südeuropa noch immer (wenngleich spürbar insgeheimer) bewundert. Doch wie einst der angebliche Medienkanzler Gerhard Schröder seine Hartz-Reformen nie wirklich mit einer positiven Horizont-Rede zu begründen wusste – so hat auch Angela Merkel ihre weitere Vorstellung von Europa noch nie erklärt. Operation gelungen, Patient tot, das droht als Preis ihrer Austerity-Politik, und die starke schwache Kanzlerin vermittelt denen, die unter der Eurokrise, anders als bisher die Deutschen, tatsächlich leiden, keinerlei Hoffnung.

In einem zerfallenden Kontinent aber wäre auch Deutschland bald keine sichere Einheit mehr. Die Zukunft der Nationalstaaten hängt so global-regional auch am gemeinsamen, dünner gewordenen Faden.

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