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Gastkommentar: Dieses Rennen können Kinder nicht gewinnen

Ein Losverfahren würde alle Schüler benachteiligen. Der Streit um den Zugang zu den Gymnasien erinnert an die Preisgestaltung auf einem Basar.

Vor einer Woche war ich auf dem Basar von Istanbul. Die Preisgestaltung dort erinnert mich sehr an die derzeitige Diskussion über den Zugang zum Gymnasium in Berlin. Im Basar nennt der Verkäufer einen Preis, von dem er weiß, dass er ihn nicht bekommt, der Käufer bietet ein Drittel, man einigt sich nach einem Zwischenschritt mit Tee und Small Talk bei zwei Drittel bis der Hälfte, und alle sind zufrieden.

Beim Zugang zum Gymnasium in Berlin kam die utopische Preisforderung von der Partei Die Linke, sie bestand zunächst in einer Sozialquote und später im freien Zugang für alle Schüler. Das unrealistische Gegengebot stellte einen NC von 2,0 in den Hauptfächern dagegen. Dann kam der von Bildungssenator Jürgen Zöllner als Kompromiss deklarierte Vorschlag eines Lostopfs für 50 Prozent der angemeldeten Schüler. Auf massiven Prostest hin steht zurzeit ein Losverfahren für ein Viertel bis ein Fünftel in Aussicht – und alle werden das Ergebnis als Kompromiss verkaufen.

Aber während der Basarhandel erstens eine Sache zum Gegenstand hat und am Ende zufriedene Gesichter hinterlässt, geht es beim Losverfahren um die Interessen von Kindern, die den Entscheidungen von Politikern hilflos ausgeliefert sind. Das Losverfahren taugt möglicherweise für einen politischen Kompromiss mit der Linken, für eine Verteilung der Kinder auf eine Schule ist es jedoch völlig ungeeignet, weil es das Kind außen vor lässt. Auch eine 25-Prozent-Quote, das sind bei Vierzügigkeit 31 Schüler, wird nämlich noch Kinder in das Gymnasium bringen, die dafür ungeeignet sind, was vom Kind aus gedacht bedeutet, dass es nicht entsprechend seinen Möglichkeiten gefördert werden kann. Geradezu zynisch ist in diesem Zusammenhang der Verweis auf das Probejahr mit der Möglichkeit, danach die Nichteignung festzustellen und den Wechsel auf die Sekundarschule zu erzwingen. Damit wird das Scheitern von vornherein als Korrekturmittel einkalkuliert. Aber jedes Kind, das gegen seinen Willen eine Gruppe verlassen muss, erlebt diese Entscheidung als persönliches Versagen.

Wer über den Zugang zum Gymnasium gesellschaftliche Ungleichheiten ausgleichen will, benutzt Kinder, weil ihm zur Bekämpfung der wahren Ursachen die Macht oder der Wille fehlen. Der Kindergarten und die Grundschule wären der Ort für wirksame Korrekturen auf Seiten der Kinder. Die Linke will das Gymnasium zerschlagen. Das Mittel dafür glaubt sie in der Entkoppelung von Gymnasium und Leistung und in der Zuweisung von Kindern mit Hauptschulempfehlung gefunden zu haben. Die konservative Seite will bildungspolitisch zurück zur Ständegesellschaft, was auf eine Trennung der gesellschaftlichen Schichten hinausläuft.

Beide fragen nicht nach dem einzelnen Kind. Kein Vertreter der Linken fragt, ob die von ihm ohne Mandat vertretenen jungen Menschen mit Migrationshintergrund aus Neukölln handlungsarme Bücher von zweihundert Seiten lesen, Französisch lernen und sich mit quadratischen Gleichungen beschäftigen wollen. Und im Bildungsbürgertum erhalten die Kinder nach dem Willen ihrer Eltern mit der Geburtsurkunde das Abiturzeugnis ausgehändigt, ebenfalls unabhängig von ihren tatsächlichen Fähigkeiten. Hinzu kommt, dass an diesen Fragen verdeckt die alte Berliner Ost-West-Teilung wirksam wird, Lichtenberg versucht sozusagen Zehlendorf zu dominieren, wofür der rheinland- pfälzisch sozialisierte Bildungssenator keine Antennen hat, was aber Michael Müller und Klaus Wowereit wissen könnten.

Wenn das Los nicht geeignet ist, wenn man Kinder nicht in ein Rennen schicken darf, das sie nicht gewinnen können, dann bleibt für den Wechsel zum Gymnasium als Lösung nur eine Kombination aus allgemeinen Leistungskriterien und einer Entsprechung zwischen dem Profil der Schule und den Stärken des Kindes. Das ist weder sozialistisch noch konservativ, sondern pädagogisch.

Der Autor ist Vorsitzender der GEW-Schulleitervereinigung Berlin.

Wolfgang Harnischfeger

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