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Gastkommentar: Eine neue Rolle für die G8

Das Interesse an den G8 ist rapide geschwunden, sagt Lars Brozus von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Und das ist problematisch, denn sie könnten gerade im Blick auf die G20 zu einem innovationsfähigen Forum werden.

Erinnert sich noch jemand an Heiligendamm? Es ist erst vier Jahre her, dass das mecklenburgische Seebad im Zentrum des Weltinteresses stand. Der dort ausgerichtete G-8-Gipfel mobilisierte unzählige politische Debatten und Protestaktionen, die um die Frage nach der Legitimität und den Maßstäben kreisten, nach denen die dort versammelten Staats- und Regierungschefs vorgaben, die Geschicke der Welt zu lenken. Damals schien es, als würden sich die G8 zu einem echten Gravitationszentrum von Global Governance, des globalen Regierens, entwickeln. Vorbei: Wenn am 26. und 27. Mai der diesjährige G8-Gipfel im französischen Deauville stattfindet, ist das öffentliche Interesse nicht annähernd so hoch. Denn inzwischen dominiert mit den G20 ein anderer Governance-Club die Schlagzeilen, dem während der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise eine zentrale Steuerungsrolle zugewachsen ist. Der Bedeutungsverlust der G8 könnte jedoch mit einem Rückgang an Offenheit und thematischer Innovationsfähigkeit einhergehen.

Frankreich, das in diesem Jahr die Doppelpräsidentschaft von G8 und G20 innehat, hat sich sehr darum bemüht, die G8 nicht völlig in den Schatten der G20 treten zu lassen. So gelang es Nicolas Sarkozy, US-Präsident Barack Obama zur Teilnahme am Gipfel in Deauville zu bewegen. Damit erhalten die G8 ihre Chance, weiterhin ein wichtiges Forum internationaler Politik zu sein. Für eine solche Rolle spricht einiges: Verglichen mit den G20 sind die G8 ein kohärentes Gebilde, dessen Mitglieder mit der Ausnahme Russlands als liberale Demokratien gelten. Daraus folgt zwar keine Interessensgleichheit. Aber Demokratien "verstehen einander", denn sie müssen ähnlichen Anforderungen bezüglich Transparenz und Verantwortlichkeit des Regierens genügen. Das erleichtert eine gemeinsame Themensetzung.

Die G20 als demokratiepolitische Herausforderung

Demgegenüber sind die G20 viel heterogener. Neben Russland gehören mit China und Saudi Arabien zwei weitere Nichtdemokratien zu diesem Club, der die ökonomische Globalsteuerung in der Finanz- und Wirtschaftskrise übernommen hat. Das impliziert einen erheblichen Bedeutungszuwachs autoritärer Regime auf globaler Ebene: Über den UN-Sicherheitsrat, in dem Russland und China Vetorecht haben, war ihr sicherheitspolitischer Einfluss schon immer groß, nun sprechen Autokratien auch in ökonomischen Fragen ein gewichtiges Wort mit. Mit der Aufwertung der G20 auf die Ebene der Staats- und Regierungschefs ist also auch eine demokratiepolitische Herausforderung verbunden.

Umso wichtiger bleibt die eigenständige Rolle eines Clubs ähnlich gesinnter Demokratien, der eine zentrale Rolle im Agendasetting der globalen Politik spielen könnte. Die G8 sind dafür gut aufgestellt: Zum einen können sie auf inhaltliche Expertise in vielen Politikfeldern zurückgreifen. Ursprünglich gegründet, um Wirtschaftsfragen im kleinen Kreis zu diskutieren, befassen sich die G8 inzwischen mit Sicherheit im Internet, dem transatlantischen Drogenhandel, globalen Energie- und Ressourcenproblemen und der Green Economy. Der diesjährige Gipfel will zudem einen Aktionsplan zur nachhaltigen Unterstützung der demokratischen Transformation Ägyptens und Tunesiens verabschieden, die beide nach Deauville eingeladen sind.

Zum anderen sind die G8 deutlich offener als die G20 gegenüber nichtstaatlichen Akteuren, allen voran der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft. Diese Offenheit manifestiert sich etwa in mehr oder minder regelmäßigen Treffen zwischen den so genannten Sherpas, die die G8-Gipfel auf staatlicher Seite vorbereiten, und zivilgesellschaftlichen Vertretern. Deutschland hat diese Veranstaltungen seit Heiligendamm auf höchster Ebene institutionalisiert: Anfang Mai 2011 traf sich Bundeskanzlerin Angela Merkel zum fünften Mal mit Vertretern von Nichtregierungsorganisationen, um mit ihnen über die deutsche Agenda für den Gipfel in Deauville zu sprechen.

Diese Beteiligung ist zwischen den nichtstaatlichen Akteuren durchaus umstritten. Zivilgesellschaftliche NGOs kritisieren sie als Versuch der Einvernahme, während die Wirtschaft darüber debattiert, ob die Verbandsebene oder einzelne Großunternehmen die richtige Vertretung ökonomischer Interessen darstellen. Skepsis und Kritik sind berechtigt, denn von einer echten Partizipation nichtstaatlicher Akteure kann in den bisherigen Teilhabeformen keine Rede sein. Dennoch ist die Offenheit gegenüber nichtstaatlichen Akteuren in den G8 erheblich höher als in den G20.

Russlands Rolle in den G8 sollte überdacht werden

Somit können die G8 mit zwei Pfunden wuchern: zum einen mit einer breiten inhaltlichen Kompetenz, zum anderen mit Offenheit gegenüber der Wirtschafts- und der Gesellschaftswelt. Diese „G8-Kultur“ bietet gute Voraussetzungen dafür, in einem Kreis ähnlich gesinnter Demokratien neue und innovative Themen zu ventilieren, die dann im größeren Rahmen der G20 oder auch in anderen internationalen Foren konkretisiert werden.

Kritiker werden einwenden, dass eine solche „Gruppenbildung“ innerhalb der G20 Gegenallianzen herausfordert, beispielsweise um die BRICS-Staaten herum. Doch die Fragmentierung der G20 hat mit dem abnehmenden Handlungsdruck in Folge der Beruhigung der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise ohnehin bereits eingesetzt. Wenn in einem heterogenen Club wie den G20 der Zwang zur Einigung nachlässt, treten unterschiedliche Interessen wieder deutlicher in den Vordergrund, wie schon bei ihrem letzten Gipfel in Seoul zu beobachten.

Vor diesem Hintergrund zeichnen sich zwei Entwicklungsrichtungen für die G8 ab: Sie könnten sich zu einem Forum ähnlich gesinnter Demokratien entwickeln, das sich durch Offenheit und Innovationsfähigkeit auszeichnet. Dann steht jedoch die Rolle Russlands in den G8 zur Diskussion, denn unter den gegebenen politischen Bedingungen ist Russland kein glaubwürdiger Vertreter demokratischer Prinzipien. Oder aber die G8 akzeptieren ihren voranschreitenden Bedeutungsverlust angesichts des Aufstiegs anderer Governance-Clubs wie des der G20. Dann werden sich aber wie Barack Obama immer mehr Staats- und Regierungschefs fragen, warum sie neben den G20-Gipfeln auch noch die G8-Veranstaltungen besuchen sollen.

Lars Brozus ist forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik unter anderem zu internationalen und europäischen Ansätzen in der Demokratisierungspolitik. Die SWP berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Sein Beitrag erscheint auf der SWP-Homepage unter der Rubrik Kurz gesagt.

Lars Brozus

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