zum Hauptinhalt
Feuerwehrleute stehen vor dem ausgebrannten Haus der türkischen Familie Genc.

© imago/Tillmann Pressephotos

Update

„Dem Hass nichts entgegengesetzt“: Faeser sieht Mitverantwortung der Kohl-Regierung für Brandanschlag von Solingen 1993

Der rechte Anschlag im Jahr 1993 sei nicht aus dem Nichts gekommen, sagt die Innenministerin. Kanzler Scholz nennt die Morde eine Mahnung.

| Update:

Kurz vor dem 30. Jahrestag des rechtsextremen Anschlags von Solingen in Nordrhein-Westfalen, bei dem 1993 fünf Menschen gestorben waren, hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) der damaligen Bundesregierung von Kanzler Helmut Kohl (CDU) eine Mitverantwortung für die Tat gegeben. Der rassistische Anschlag sei „keineswegs aus dem Nichts“ gekommen, sagte Faeser den Zeitungen der Funke Mediengruppe am Pfingstsonntag.

„Nach den rechtsextremistischen Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda, nach dem Mordanschlag von Mölln nur kurz zuvor hat die damalige Bundesregierung nicht mit aller Klarheit und Deutlichkeit gehandelt, um den mörderischen Rechtsextremismus zu stoppen“, sagte Faeser.

Die Regierung aus CDU, CSU und FDP habe „dem Hass nichts entgegengesetzt, keine rote Linie gezogen“, sagte Faeser. Debatten seien mit Sprüchen wie ‚Das Boot ist voll’ auf dem Rücken von Menschen ausgetragen worden. „Und nach diesen Taten fehlte an der Spitze der Bundesregierung auch noch das Mitgefühl, die Empathie und Zuwendung für die Opfer.“ Das sei für den deutschen Staat bis heute beschämend. 

Die Lehren aus Solingen könnten nicht aktueller sein, sagte Faeser. „Der Rechtsextremismus ist die größte extremistische Gefahr für unsere Demokratie – und für Menschen in unserem Land.“ Im vergangenen Jahr seien 41 Prozent aller Opfer politisch motivierter Gewalttaten von rechtsmotivierten Gewalttätern angegriffen worden.

Die Zahl der rechtsextremistischen Gewalttaten sei im vergangenen Jahr erneut um zwölf Prozent gestiegen. Vor allem Attacken auf Geflüchtete hätten zugenommen.

12
Prozent mehr rechtsextremistische Gewalttaten gab es nach Angaben der Innenministerin 2022.

Faeser sagte entschlossenes Handeln gegen Rechtsextremismus zu. „Dazu gehören gut ausgestattete und äußerst wachsame Sicherheitsbehörden auf der einen Seite, und eine lebendige und vielfältige Zivilgesellschaft auf der anderen Seite“, sagte sie. „Und dazu gehört vor allem, anders als 1993: Empathie für die Betroffenen rechtsextremer Gewalt.“

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erinnerte an die Toten. „Der rechtsextreme Mord an fünf Menschen mit türkischen Wurzeln mahnt uns, alle zu schützen, die hier leben, die Verbrechen zu ahnden und Opfern zu helfen“, schrieb er am Montagmorgen auf Twitter.

„Mit Respekt für unsere vielfältige Gesellschaft können wir viel erreichen.“ Scholz postete ein Foto des damals ausgebrannten Hauses in Solingen und stellte die Namen der Toten dazu.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Am Freitag hatte der nordrhein-westfälische Landtag der Opfer des Brandanschlags gedacht. Der Tod von zwei jungen Frauen und drei Mädchen durch die „feige, rassistisch motivierte“ Tat habe Wunden in die Geschichte des Landes gerissen, „die für immer bleiben“, sagte Landtagspräsident André Kuper einem Bericht der Agentur epd zufolge in Anwesenheit von Mitgliedern der Familie Genc und der türkischen Generalkonsulin Aysegül Gökçen Karaarslan.

Kuper erinnerte an die Reihe rechtsextremistischer Anschläge und Ausschreitungen Anfang der 90er-Jahre unter anderem auch in Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen und Mölln. „Bekämpfen wir Rassismus, Extremismus, Antisemitismus und Menschenfeindlichkeit in all ihren hässlichen Formen“, sagte der Landtagspräsident.

„Ich appelliere an alle Menschen in unserem Land: Wehren Sie dem Extremen! Zeigen Sie demokratisches Rückgrat!“ Es gelte, sich stark zu machen „für Vielfalt und Toleranz im Zusammenleben, für Verständigung und ein gutes, ein würdevolles Miteinander“.

Es war einer der dunkelsten Tage in der Geschichte unseres Landes.

Hendrik Wüst, NRW-Ministerpräsident (CDU)

Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sagte im Landtag, der Mordanschlag habe „vielen Menschen überall im Land Angst gemacht, vor allem Menschen mit türkischen Wurzeln“. Es sei einer der „dunkelsten Tage in der Geschichte unseres Landes“ gewesen. Wüst warnte zudem vor einer Zunahme rechtsextremistischer Straftaten. „Dem müssen wir uns fortwährend entgegenstellen.“

Am heutigen Sonntag beginnen in Solingen die Gedenkveranstaltungen. Am Nachmittag soll der Mercimek-Platz am Rathaus nach Mevlüde Genc umbenannt werden. Die im Oktober gestorbene Friedensbotschafterin verlor bei dem fremdenfeindlichen Verbrechen zwei Töchter, zwei Enkelinnen und eine Nichte, so die epd.

Anschließend ist ein Mahngang zur Unteren Wernerstraße geplant, wo das Haus der Familie Genc stand. Dort werden Gedenkstelen für die Opfer des Brandanschlags eingeweiht. Bei einem gemeinsamen Gebet sollen der Imam der örtlichen Ditib-Gemeinde und die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Solingen, die evangelische Superintendentin Ilka Werner, sprechen.

Zu einem Festakt am Montag werden unter anderem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundestagspräsidentin Bärbel Bas und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (beide SPD) sowie Ministerpräsident Wüst erwartet.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false