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Juhan Parts ist seit 2017 Mitglied des Europäischen Rechnungshofs.

© Europäischer Rechnungshof

Betrug mit EU-Geldern: "Der Fehler liegt im System"

Der Europäische Rechnungshof hält das bestehende Verfahren zur Bekämpfung des Betrugs bei EU-Fördergeldern für unzureichend.

Herr Parts, wie viel Geld geht der EU jährlich durch Betrug verloren?

Es gibt keine verlässliche Summe. Und darin liegt das Problem.

Der Europäische Rechnungshof hat am Donnerstag einen Prüfbericht zur Betrugsbekämpfung in der EU veröffentlicht. Wo liegen die Schwachpunkte, wenn es darum geht, effizient gegen den betrügerischen Umgang mit EU-Fördergeldern vorzugehen?

Die Betrugsfälle, die entdeckt werden, stellen gewissermaßen nur die Spitze des Eisbergs dar. Betrug ist ein Verbrechen ohne Opfer, deshalb bleiben viele Fälle unentdeckt. Das betrifft nicht nur die EU allein. Aber die Europäische Union steht in den Augen ihrer Bürger in diesem Punkt nicht besonders gut da. Laut Umfragen sind fast 70 Prozent der EU-Bürger der Ansicht, dass die Vergabe von EU-Geldern in irgendeiner Weise betrügerische Aktivitäten zur Folge hat. Diese Zahl ist sehr hoch. Wir bewerten diese Wahrnehmung der EU-Bürger nicht. Aber es sollte wie ein Weckruf wirken, wenn die Bevölkerung derart eingestellt ist.

In Ihrem Bericht kritisieren Sie, dass die EU-Kommission nicht über das volle Ausmaß von Betrugsfällen und Korruption in den Mitgliedstaaten im Bilde ist. Wie könnte dies geändert werden?

Es ist nicht mehr ausreichend, wenn sich die EU auf bloße Vermutungen über das gesamte Ausmaß der Betrügereien verlässt, wenn sie eine maßgeschneiderte Bekämpfungsstrategie entwickeln will. Je nach Ausgabengebiet nimmt die Betrügerei unterschiedliche Formen und Ausmaße an. Ein Schlüssel für ein besseres Verständnis und ein effektiveres Vorgehen ist die Verwendung von Big Data. Wissenschaftler sind bereits dabei, das Ausmaß von Korruption mit der Hilfe von Big Data zu analysieren. Es gibt mehrere Finanz-Datenbanken auf EU-Ebene und in den Mitgliedstaaten, die als Informationsquelle genutzt werden können.

Aus dem Bericht des Europäischen Rechnungshofs geht zudem hervor, dass es nur in 45 Prozent der Fälle, die von der EU-Betrugsbekämpfungsbehörde Olaf untersucht werden, zu einer Strafverfolgung kommt.

Zunächst einmal: Der Fehler liegt nicht bei den Olaf-Mitarbeitern in Brüssel, sondern im System. Das gegenwärtige Verfahren erfordert zwei aufeinanderfolgende Ermittlungen. Auf die Ermittlungen der Behörde Olaf folgt eine Justizermittlung in dem betroffenen Mitgliedstaat. Diese beiden Verfahren nehmen einfach zu viel Zeit in Anspruch. Hier geht es um den Abschreckungseffekt. Wenn das System zur Strafverfolgung nicht vernünftig funktioniert, dann haben Betrüger nichts zu befürchten.

Bekommt die EU immer ihr Geld zurück, wenn ein Betrugsfall aufgedeckt wurde?

Leider nein. In diesem Punkt zeigen sich die EU-Institutionen sogar noch schwächer als in der Frage der Strafverfolgung. Olaf übermittelt seine Empfehlungen zur Eintreibung der betrügerisch verwendeten Mittel an die zuständigen Generaldirektionen in der EU-Kommission. Die Generaldirektionen sind dafür verantwortlich, dass das Geld wieder zurückkommt. Aber im Durchschnitt werden nur 15 Prozent der Mittel, bei denen ein Betrug festgestellt wurde, wieder nach Brüssel zurücküberwiesen. Das ist ein sehr geringer Anteil. Dabei geht es um unterschiedliche EU-Gelder – von den Kohäsionsfonds bis zur Unterstützung von Drittstaaten außerhalb der EU.

Was ist die Ursache für die geringe Rücküberweisungsquote?

Auch hier liegt der Fehler im System: Die Verantwortung liegt nicht in einer Hand. Olaf führt die Ermittlungen durch und gibt nur Empfehlungen ab. Aber die finale Entscheidung über die Rückforderung der Gelder wird in den Generaldirektionen der EU-Kommission getroffen. Es gibt einige Fälle, in denen die Generaldirektionen einen Olaf-Bericht so schwach finden, dass sie vor einer Entscheidung zusätzliche Ermittlungsarbeit leisten müssen. Aber die Ergebnisse, welche die Generaldirektionen abliefern, sind überraschend dürftig.

Das Gespräch führte Albrecht Meier.

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