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Ölförderung in Dubai: Wie lange wird sie noch nötig sein?

© imago images/Greatstock

Alles andere wäre selbstzerstörerisch: Die Welt sollte sich nicht zu früh von Öl und Gas trennen

Fossile Energieträger werden noch lange für die Versorgung erforderlich sein, meint der Industrieminister der Vereinigten Arabischen Emirate. Ein Gastbeitrag.

Sultan Al Jaber ist Minister für Industrie und Hochtechnologie der Vereinigten Arabischen Emirate und CEO der Abu Dhabi National Oil Company, Vorsitzender von Masdar und Sonderbeauftragter der VAE für den Klimawandel.

Mehr als 80 Prozent aller neuen Stromerzeugungskapazitäten entfielen im vergangenen Jahr in den Vereinigten Arabischen Emiraten auf erneuerbare Energien. Das ist ein Rekordwachstum und damit das bisher deutlichste Zeichen dafür, dass die Energiewende auch bei uns an Fahrt gewinnt.

Die jüngsten Ereignisse haben jedoch gezeigt, dass es den wirtschaftlichen und auch den klimatischen Fortschritt gefährden würde, wenn man das bisherige Energiesystem abschaltet, bevor eine ausreichend robuste Alternative aufgebaut werden konnte. Das wirft die Frage auf, ob wir einen für alle Menschen gerechten Übergang gewährleisten können.

Eine erfolgreiche Energiewende setzt die gemeinsame fortschrittliche Entwicklung von Wirtschaft und Klimaschutz voraus. Sie muss auf wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und technischen Erkenntnissen beruhen, die die vielfältigen Herausforderungen und notwendigen Kompromisse berücksichtigen und die Einführung praktischer Lösungen vorantreiben.

Dafür brauchen wir einen integrativen Ansatz, der die Erfahrungen aller gesellschaftlichen Bereiche einbezieht und vor allem den Energiesektor nicht ausschließt.

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Wer sich zu früh von Kohle trennt, zerstört sich selbst

Die Welt sah sich bereits mit einer tiefgreifenden Energieversorgungskrise konfrontiert, als die Volkswirtschaften begannen, sich von der Covid-19-Pandemie zu erholen. Der Russland-Ukraine-Konflikt verschärfte die angespannte Marktlage und zwang die Länder, ihren dringenden kurzfristigen Energiebedarf strategisch neu zu bewerten.

Die Botschaft an die Regierungen sollte also klar sein: Eine Politik, die darauf abzielt, sich ohne das Vorhandensein adäquater tragfähiger Alternativen zu früh von Kohlenwasserstoffen zu trennen, ist selbstzerstörerisch. Sie werden die Energiesicherheit untergraben, die wirtschaftliche Stabilität aushöhlen und weniger Einkommen für Investitionen in die Energiewende ermöglichen.

Sultan Al Jaber ist Minister für Industrie und Hochtechnologie der Vereinigten Arabischen Emirate.

© Botschaft der Vereinigten Arabischen Emirate

Was wir brauchen, ist eine realistische neue Strategie, die pragmatisch, wachstumsfördernd und klimafreundlich ist. Die Strategie muss die Komplexität der Energie- und Industriesysteme berücksichtigen und auch anerkennen, dass die Ansprüche an den erforderlichen Übergang kolossal sind und eine intensivere Abstimmung und Zusammenarbeit in allen Bereichen von der Kapitalallokation bis zur Produktgestaltung, der öffentlichen Politik und Verhaltensänderungen erfordern.

Mehr in Kohlenstoffbindung investieren

Dies bedeutet, dass zunächst die Nachfrageseite des Energiesystems untersucht werden muss. Wind- und Solarenergie machen große Fortschritte, doch die meiste Energie wird in der Schwerindustrie, im verarbeitenden Gewerbe, im Bauwesen, im Verkehr und in der Landwirtschaft verbraucht. Diese Sektoren haben die größten Auswirkungen auf das Klima und erfordern daher höhere Investitionen, und zwar ab sofort.

Während die weltweiten Investitionen in erneuerbare Energien im vergangenen Jahr 365 Milliarden Dollar überstiegen, beliefen sich die Gesamtinvestitionen in Energiespeicherung, Kohlenstoffbindung und in die Wasserstoff-Wertschöpfungskette zusammen auf nur zwölf Milliarden Dollar. Das ist nicht genug.

Schätzungen zufolge werden für die Energiewende in den nächsten 30 Jahren Investitionen in Höhe von mehr als 250 Billionen Dollar benötigt. Natürlich kann kein einzelnes Land, geschweige denn ein einzelnes Unternehmen, dies alleine stemmen.

Öl und Gas werden noch eine Weile gebraucht

Aber die Finanzierung ist nicht das einzige Problem. Die Energiewende braucht Zeit. Obwohl Wind- und Solarenergie im Jahr 2021 die überwiegende Mehrheit aller neuen Stromerzeugungskapazitäten ausmachten, stellten sie noch immer nur vier Prozent des heutigen Energiemixes dar.

Da der Energiebedarf der Welt immer größer wird, müssen Öl und Gas zur Aufrechterhaltung der globalen Energiesicherheit noch jahrzehntelang einen bedeutenden Teil des Energiepakets bilden.

Im März besuchte der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck die Emirate, unter anderem eine großflächige Solaranlage.

© dpa/Bernd von Jutrczenka

Deshalb müssen wir jetzt mehr tun, um die Auswirkungen von Öl und Gas auf das Klima zu verringern. Produzenten, Regierungen und der Privatsektor müssen zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass jede neue Produktionseinheit weniger kohlenstoffintensiv ist als die letzte.

Das erfordert eine unterstützende Steuerpolitik, betriebliche Effizienz durch Technologie, größere Verpflichtungen zur Reduzierung von Methan und deutlich höhere Investitionen in Technologien zur Kohlenstoffbindung.

Die Emirate investieren massiv in die Erneuerbaren

Diese Realitäten bestimmen den Ansatz der Vereinigten Arabischen Emirate für die Energiewende. Der besteht darin, den globalen Bedarf von heute zu decken und gleichzeitig in die neuen Energiesysteme von morgen zu investieren.

Die VAE verfügen über drei der weltweit größten Solarkraftwerke an einem Standort, haben in Projekte für erneuerbare Energien in über 40 Industrie- und Entwicklungsländern investiert und planen, ihr Portfolio an erneuerbaren Energien bis 2030 auf 100 Gigawatt zu erhöhen. Wir haben auch in die Kernenergie investiert und legen den Grundstein für die Wasserstoff-Wertschöpfungskette, die der Schlüssel zum Erreichen von Netto-Null-Emissionen ist.

Die VAE bleiben zuverlässiger Lieferant von Öl und Gas, deren Produktion zu einer der am wenigsten kohlenstoffintensiven zählt. Wir werden diese Intensität bis zum Ende dieses Jahrzehnts um weitere 25 Prozent senken. Wir haben das erste industrielle Programm zur Kohlenstoffbindung in der Region ins Leben gerufen, und der gesamte Strom, den unsere nationale Ölgesellschaft verbraucht, stammt nun aus kohlenstofffreier Atom- und Solarenergie.

Dialog über eine realistische Energiewende

Während die diesjährige Klimakonferenz der Vereinten Nationen (COP27) näher rückt, bereiten sich die VAE auf die Ausrichtung der COP28 im Jahr 2023 vor. Wir müssen uns auf praktikable Lösungen für eine nachhaltige und bezahlbare Energieversorgung konzentrieren.

Wenn der COP-Prozess die Versprechen des Pariser Abkommens einlösen soll, brauchen wir einen inklusiven Dialog über die Rahmenbedingungen für eine realistische Energiewende.

Dieser Dialog sollte alle an einen Tisch bringen, von den Regierungen und der Zivilgesellschaft bis hin zu Wissenschaftler*innen und dem Privatsektor. Er muss Fachleute aus dem gesamten Energiesektor einbeziehen, denn anders ist eine Diskussion über die Möglichkeiten einer Energiewende, die Emissionen reduziert, ohne den wirtschaftlichen Fortschritt zu behindern, nicht möglich.

Aber wir sollten nicht warten, bis wir mit dieser Debatte beginnen. Wenn wir die Zusagen des Pariser Abkommens einhalten wollen, müssen wir jetzt Ergebnisse für das Klima und die Wirtschaft erzielen. Unser oberstes Ziel sollte es sein, die Emissionen einzudämmen, nicht den Fortschritt.

Sultan Al Jaber

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