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Da geht's lang. Cem Özdemir in der 12. Sitzung des Deutschen Bundestages im Reichstagsgebäude am Freitag.

© imago images/Future Image

Regierungsbefragung: Hört auch auf die zweite Reihe

Der Bundestag ist noch immer die beste Adresse für politische Öffentlichkeit - für den Bundeskanzler wie einen Bürgermeister aus der Provinz. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Leistungsschau, dieser Begriff drängt sich geradezu auf, wenn man in diesen Tagen die Debatten des Bundestags verfolgt hat. Die über das Geleistete wie über das zu Leistende. Was ja, ausweislich des Koalitionsvertrags der Ampel-Bündnispartner, sehr viel ist. Nicht weil sie es wollten – nach Jahren großkoalitionärer Politik des gegenseitigen Ausgleichs –, sondern weil sie es müssen. Die große Lage im Land und in der Welt erfordert es: Das Verändern nicht erleiden, sondern gestalten.

Daran gemessen war so schlecht nicht, was die Abgeordneten und die Minister:innen geboten haben. Oder auch der Bundeskanzler. Besteht Coolness darin, zur richtigen Zeit das Angemessene zu tun, ist die dem Chef der Regierung nicht ganz abzusprechen. Das Richtige zu tun, kann auch darin bestehen, Anwürfe aus der Schmuddelecke der parlamentarischen Demokratie kühl abtropfen zu lassen.

Das hat Scholz stellvertretend für die Kollegen getan. Ein Grund zur Aufregung ist das nicht; die AfD hat ja Rederecht und kann sagen, was sie will. Daher gilt: Jeder disqualifiziert sich, so gut er kann.

Kompetenz ist nicht einfach da

Aber jede und jeder qualifiziert sich umgekehrt auch, so gut sie oder er es kann. Mitunter ist erstaunlich, wie schnell manche Minister im Amt angekommen zu sein scheinen und sich Kompetenz offenkundig über die Flure des Ressorts verbreitet.

Schon recht, das kann nicht sein; im einen oder anderen Fall zeigt sich dafür eine hochpolitische Tugend, die mehr denn je über Jahre durchgehalten werden muss: Fleiß. Sich Fakten „draufzuschaffen“ ist zwingend, wo doch die Welt verändert werden soll. Und Baerbock, Habeck, Lindner, Özdemir, erstmals Minister im Bund, hinterließen nicht den Eindruck, mit dieser Aufgabe und Verantwortung zu fremdeln.

Das ist für CDU und CSU nach so langen Regierungsjahren schwieriger; gerade die beiden Schwesterparteien werden sich neu finden müssen. Der Prozess läuft, ist nur nicht ganz so spektakulär, weil Opposition zwar nicht Mist ist, wie die SPD-Kurzsatzikone Franz Müntefering einmal gesagt hat, sie aber zur Entscheidungsfindung für die Zukunft eher mittelbar beiträgt. Immerhin ist sie Regierung im Wartestand – und hat hier auch eine Verantwortung.

Zurück zu den Koalitionären und ihrer Rolle. Die wollen untereinander Respekt walten lassen. Das ist nicht allein ihr Anspruch, sondern zumal der der Volksvertreter, die sie kontrollieren sollen und werden. Nicht zu vergessen: Die Regierung kann sich kein neues Volk wählen, aber dessen Abgeordnete könnten eine andere Regierung wollen. Ein bisschen Demut ist da nicht falsch. Schon deshalb, weil im Parlament nicht bloß die erste Reihe wichtig ist – achtet die zweite, möchte man der ersten zurufen.

Zuhören lohnt sich

Wenn ein langjähriger Bürgermeister einer Stadt in Niedersachsen über die Bedeutung finanzpolitischer Beschlüsse für die Kommunen redet, dann ist das wichtig. Oder wenn eine Fachfrau für Steuern, aus NRW kommend und neu im Parlament, über Steuern spricht, dann lohnt sich das Zuhören. Was, um gerecht zu sein, Minister Lindner auch tat, und zwar unabhängig von Parteifarben.

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Darum nämlich wird es in der komnmenden, harten Zeit auch gehen: Wer im Parlament überzeugt, im Forum der Öffentlichkeit, trainiert zugleich für die Öffentlichkeit. Gerade vor dem Hintergrund der anstehenden Veränderungen ist es umso nötiger, einander erstens zuzuhören und zweitens, auf kundige Einsprüche zu hören.

In der Tat muss klar und wahr werden, dass alle im Bundestag – oder sagen wir: fast alle – verstanden haben, um was es jetzt geht, nämlich die Bewältigung von Menschheitsaufgaben. Klimaschutz ist mehr als ein Wort, das ist eine Kaskade an Umwälzungen. Neues Denken, neues Reden, respektvolles Verhalten – die Legislaturperiode hat begonnen, und jede Sitzung zählt. Denn Respekt erfährt nur, wer respektabel handelt. Da haben alle viel zu leisten.

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