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Brandenburg: „Das war keine Erstürmung – die Leute wurden zielgerichtet weggelenkt“

Harry Ewert aus Elstal erinnert sich an den 15. Januar 1990 und wie die Stasi die Demonstranten für sich ausgenutzt hat

Harry Ewert aus Elstal erinnert sich an den 15. Januar 1990 und wie die Stasi die Demonstranten für sich ausgenutzt hat Potsdam - Harry Ewert war an diesem Tag nicht da, wo er eigentlich hingehört hätte – in der Rettungsstelle der Schnellen Medizinischen Hilfe (SMH) in der Berlin Prenzlauer Berg. An diesem sollte ohnehin nichts so laufen, wie es laufen sollte. Alles kam anders, vieles wurde anders. Am 15. Januar 1990 war Ewert früh morgens aus seiner Marzahner Neubauwohnung nach Mitte gefahren. Um 8 Uhr saß er in der Invalidenstraße zusammen mit Dankwart Brinksmeier und Martin Gutzeit in der Invalidenstraße. Er, Harry Ewert, zusammen mit den Mitbegründern der Sozialdemokratischen Partei der DDR (SDP)! Das war seine große Zeit, damals, vor 15 Jahren. Der Rettungswagenfahrer Ewert arbeitete für Brinksmeier und Gutzeit. Zusammen berieten sie in Brinksmeiers Wohnung über die Auflösung des Staatssicherheitsdienstes der DDR. Thema an diesem Tag: die Datenverabeitung des MfS und – werden die Stasi-Gebäude von Polizisten bewacht oder von verkleideten Stasi-Leuten. Am späten Nachmittag fuhren Gutzeit und Brinksmeier zur Sitzung des Runden Tisches. Ewert nach Hause. Er erstellte ein Schema über die Befehls- und Rapportstrukturen bei der Stasi und Polizei. Und am Abend wussten sie vieles, worüber sie am Morgen noch gegrübelt hatten. Das Neue Forum hatte für den Abend zu einer Demonstration vor dem Hauptsitz des Ministeriums für Staatssicherheit, dem zwischenzeitlichen Amt für Nationale Sicherheit (AfNS) in der Normannenstraße in Lichtenberg aufgerufen. „Die Leute sollten Steine mitbringen, um das Tor symbolisch zuzumauern“, erinnert sich Ewert. Doch, „gegen 14 Uhr bekamen wir die ersten Hinweise, dass die Lage eskalieren könnte.“ Und so kam es auch: Am Abend trafen sich die Demonstranten. Das Tor zur Stasi-Zentrale wurde nicht vermauert, sondern plötzlich von Innen geöffnet. Ewert hat später Video-und Filmmaterial von Spiegel-TV und anderen Sendern analysiert. Sei Fazit: „Das war keine Erstürmung, die Leute sind gezielt von wichtigen Punkten im Objekt weg gelenkt worden.“ Viele Wachpolizisten waren von der Stasi. Unter den „Stürmern“ erstaunlich viele mit sehr kurzen Haaren. Und in der Tat: Statt sich vom Tor auf geradem Weg zum Haus I, dem Haupthaus, zu machen, stürmten die Massen den „Fresswürfel“ mit Kantine und Kaufhalle. Ewert: „Zur selben Zeit, als die ersten Leute unten rein sind, ging im dritten Stock das Licht an und es wurden Bilder und Einrichtungsgegenstände aus den Fenstern geworfen. Demonstranten konnten noch nicht da oben gewesen sein.“ Völlig außer Acht wurden von den Massen auch die Gebäude der Hauptverwaltung Aufklärung, der Auslandsspionage der DDR, gelassen, erinnert sich Ewert. Ins Archiv gingen andere. Für ihn steht heute fest: „Die Stasi hat die Demonstration ausgenutzt, den Strom der Demonstranten gezielt gelenkt.Bei der Stürmung sind wichtige Akten verschwunden, die später von ehemaligen Stasi-Leuten an westliche Geheimdienste verkauft worden sind. Viele Bürgerbewegte, so Ewert heute, hätten ebenfalls auf eigene Rechnung gearbeitet: „Die haben Akten und Daten mitgenommen und damit Geld verdient.“ Ewert hat weiter für den Runden Tisch gearbeitet, saß in der AG Sicherheit. Und die Eingänge zu den Honecker- und Regierungsbunkern hat er gefunden. Er hat die Datensätze geknackt, aus denen hervorging, wer für die Stasi gearbeitet hat. Verkauft haben sie andere. Er hat den Bürgerrechtlern das Militär erklärt, hat später im Brandenburger Innenministerium als Fahrer gearbeitet, und wurde unter skandalösen Umständen gefeuert. Ewert, heißt es bis heute, sei zu unbequem gewesen und habe zu viel über zu viele Leute gewusst. Auch in Brandenburg. Seine einstigen Weggefährten sind versorgt. Gutzeit als Beauftragter für die Stasi-Unterlagen in Magdeburg, Brinksmeier als Beigeordneter in Strausberg. Harry Ewert, wohnt in Elstal bei Potsdam. Er hat immer wieder Journalisten bei Recherchen geholfen – bekommen hat er wenig. Er hat Buchautoren geholfen, für ein Zubrot. Als Krankenwagenfahrer hat er immer Mal wieder Arbeit. Zurzeit nicht. Geblieben ist ihm aber die Gewissheit, das viele der Computer-Daten der DDR, die in Archiven der Bundesrepublik lagern und angeblich nicht lesbar sind, doch lesbar sind.

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