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Landeshauptstadt: Das Waisenhaus verdankt ihr viel

Charlotte Stahlberg stimmte 1952 der Auflösung der Stiftung nicht zu

Charlotte Stahlberg stimmte 1952 der Auflösung der Stiftung nicht zu Die 93-jährige Charlotte Stahlberg erhielt gestern in ihrer Wohnung prominenten Besuch. Der Vorsitzende der Stiftungsrates der Stiftung Großes Waisenhaus zu Potsdam, Andreas Hilliger, und Geschäftsführer Jürgen Pankonin überbrachten ihr Blumen und luden sie zu einer Besichtigung der generalreparierten und restaurierten Bauten des 1722 durch König Friedrich Wilhelm I. begründeten Waisenhauses für Soldatenkinder ein. Charlotte Stahlberg war eine der Vorgängerinnen Hilligers. Sie hatte den Stiftungsrat bis 1952 geleitet, als sich der FDGB das Geviert zwischen Linden-, Breiter, Dortu- und Spornstraße aneignete. Als Ratsvorsitzende hatte sie damals der Übergabe an den DDR-Gewerkschaftsbund nicht zugestimmt, womit die Landesregierung einen Beschluss zur Zwangsauflösung und entschädigungslosen Enteignung der Stiftung fassen musste. Diese mutige Haltung Charlotte Stahlbergs war eine wichtige rechtliche Grundlage dafür, dass die Enteignung als Unrechtsakt rückgängig gemacht und die Stiftung 1992 wiederbegründet werden konnte. Der am Waisenhaus tätige Historiker René Schreiter hat diesen Zusammenhang, von dem die später als Erzieherin an der Oberlin-Schule tätige Frau kein Aufhebens gemacht hatte, bei seinen Forschungen erschlossen. Charlotte Stahlberg war am Platz der Einheit aufgewachsen, wo ihre Eltern das Fotoatelier Weiß führten. Als 10-Jährige machte sie auf einer Feier erste Bekanntschaft mit dem Waisenhaus – damals geschockt von den uniformierten und in schweigender Disziplin verharrenden Zöglingen. In den 40-er Jahren in der Forstanstalt Eberswalde tätig, floh die gelernte Fotografin bei Kriegsende zurück nach Potsdam. Hier übernahm sie die Leitung des für elternlose oder auf den Straßen umherirrende Flüchtlingskinder eingerichteten Heimes im Lazaretttrakt des Waisenhauses – jenes zweigeschossigen Gebäudes an der Lindenstraße, in dem sich später vom Ende der 70er bis in die 90er Jahre die Redaktion der PNN befand. Es war eines der wenigen 1945 noch nutzbaren Gebäude des Waisenhauskomplexes. Etwa 75 Kinder waren hier untergebracht. Vorsitzende des Stiftungsrates wurde Charlotte Stahllberg, als ihr Vorgänger Bürgermeister Erwin Köhler spurlos verschwand. Diesen integren und kundigen Mann habe sie besonders geschätzt, erinnert sie sich. Was sie damals nicht wusste: Erwin Köhler war vom russischen Geheimdienst KGB verhaftet, vom Sowjetischen Militärtribunal in Potsdam unter haltlosen politischen Anschuldigungen zum Tode verurteilt und wie auch seine Ehefrau 1951 in Moskau ermordet worden. Charlotte Stahlberg lebt als 93-Jährige, von ihrer Tochter Bärbel Möwes unterstützt, nach wie vor selbständig in der eigenen Wohnung. Geistig ist sie außerordentlich rege und liest sehr viel. Etwas schwer fällt ihr allerdings das Laufen und Treppensteigen. Deshalb hat sie die Gebäude des Waisenhauskomplexes nach deren Restaurierung bisher nicht besuchen können. Da kam die Einladung der Stiftungsleitung zum rechten Zeitpunkt. Auch wenn im Oktober 2004 der dann wieder aufgebaute Kuppelturm mit der Caritas-Statue eingeweiht wird, möchte Andreas Hilliger die alte Dame gern dabei haben. Erhart Hohenstein

Erhart Hohenstein

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