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Aus dem GERICHTSSAAL: „Demnächst gibt es eine Gasexplosion in meinem Wohnhaus!“

Rentner löste Polizeieinsatz aus, um in Alkoholentzugs-Klinik eingeliefert zu werden/Verfahren eingestellt

Aus dem GERICHTSSAALRentner löste Polizeieinsatz aus, um in Alkoholentzugs-Klinik eingeliefert zu werden/Verfahren eingestellt Zu DDR-Zeiten war die Welt noch in Ordnung für Harry H. (65, Name geändert). Als Hochdruckheizer ging er täglich seiner Arbeit nach. Und auch die Ehe funktionierte. Nach der Wende verlor der Potsdamer seine Beschäftigung. Irgendwann ließ sich seine Frau von ihm scheiden. Harry H. suchte zunehmend Trost im Alkohol. Sank dann die Promillezahl wieder, sackte auch sein Lebensmut in den Keller. „Ich hatte nur noch den Gedanken im Kopf, mich umzubringen“, berichtet der Rentner kaum hörbar vor Gericht. Mit seinen weißen Haaren und dem Vollbart wirkt er wie ein sturmerprobter Seebär. Bis zum 29. Juli 2004 trotzte Harry H. den Stürmen des Lebens irgendwie. An jenem Tag aber trank er zwei Flaschen Weinbrand, hatte die dritte bereits angefangen. Er wählte den Polizeinotruf, erklärte mit schwerer Stimme, er werde eine Gasexplosion in seiner Wohnung herbeiführen, um sich das Leben zu nehmen. Die Polizei fuhr umgehend zu der genannten Adresse, verständigte vorsichtshalber den Notarzt. „In Wahrheit hätte ich den Gashahn aber nie aufgedreht“, beteuert der wegen Vortäuschens einer Straftat sowie Nötigung Angeklagte. „Ich wollte, dass mich die Polizei aus der Wohnung holt und in eine Entzugsklinik einliefert.“ Die Vorsitzende runzelt die Stirn. „Wollten Sie nun sterben oder vom Alkohol loskommen? Letzteres würde bedeuten, dass Sie weiterleben möchten“, schlussfolgert sie. Harry H. senkt den Kopf. „Ich muss an meine Tochter denken“, meint er leise. „Sie ist der einzige Mensch, den ich noch habe. Und sie kümmert sich sehr um mich.“ Ihr zuliebe habe er sich entschlossen, den Kampf gegen die Sucht aufzunehmen, auch wenn er nicht wirklich eine Perspektive im Weiterleben sähe. Zwei Entgiftungen habe er bereits hinter sich, strebe nun eine Langzeittherapie an. Doch freie Plätze seien knapp. Deshalb habe er zu besagtem Druckmittel gegriffen. „Das war eine Dummheit. Aber so wie bisher kann es einfach nicht weitergehen. Mein Kreislauf spielt verrückt. Ein Kumpel hat mich heute mit dem Taxi zur Verhandlung gebracht. Alleine hätte ich das gar nicht geschafft.“ Dann entschuldigt sich der Angeklagte kleinlaut bei den als Zeugen geladenen Polizeibeamten, die ihn aus seiner Wohnung retten wollten. „Ich weiß, das war ein starkes Stück. Sie haben wirklich andere Aufgaben.“ Dem können Staatsanwalt und Richterin nur zustimmen. Dennoch wird das Verfahren gegen Harry H. eingestellt. „Fühlen Sie sich belehrt. Sie sind genug bestraft“, befindet die Vorsitzende. „Wir machen die Akte zu. So etwas gibt es aber nur einmal.“ Harry H. atmet erleichtert auf und bedankt sich höflich. Hoga

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