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Homepage: „Eine Entgleisung des Fettstoffwechsels“

Prof. Andreas F. H. Pfeiffer vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Rehbrücke über die Entstehung von Übergewicht und dessen Erforschung

Herr Prof. Pfeiffer, Sie wollen für die neue Diogenes-Studie Familien mit genetischer Veranlagung zum Übergewicht untersuchen. Sind wir beim Übergewicht unseren Genen hilflos ausgeliefert?

Nein, das sind wir zweifellos nicht, aber die Gene spielen schon eine wichtige Rolle. Die Anlagen steuern vor allen Dingen unsere Reaktion auf Nahrungskomponenten, wie zum Beispiel auf Fette, auf Eiweiß oder auf Kohlenhydrate. Es geht bei der Studie nicht um seltene genetische Veranlagung, sondern darum, inwiefern bestimmte Menschen eher von gezielten Ernährungsweisen profitieren. Bisher sind unsere Ernährungsempfehlungen ja gleich für alle, in Zukunft können wir das vielleicht genauer formulieren und den Menschen sagen, von welcher Ernährungsstrategie sie persönlich ganz besonders profitieren.

In unserer Gesellschaft verbreiten sich Übergewicht und Diabetes, welche Ursachen dafür kennt die Forschung?

Übergewicht und Diabetes sind eng verknüpft, da jeweils vier Kilogramm Gewichtszunahme das Risiko für einen Diabetes mellitus Typ II verdoppeln. Übergewicht ist also eine ganz wesentliche Ursache für Diabetes, wobei das Fettgewebe den Stoffwechsel umprogrammiert. Hierfür setzt es Signalmoleküle frei, die sowohl die Leistung der Insulin-produzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse schwächen, wie auch die Insulinwirkung vermindern und andererseits eine unterschwellige Entzündungsantwort auslösen, ähnlich einem Anflug von Grippe. Dieses zusammen stört die Funktion von Gefäßen, es führt zu einer Entgleisung des Fettstoffwechsels und zu einer verminderten Produktion von schützenden Signalen des Fettgewebes.

Was sind die Auslöser dafür?

Die grundlegende Ursache für Übergewicht ist und bleibt die Aufnahme von mehr Nahrungsenergie als man im Tagesverlauf verbraucht, und hierfür ist das Überangebot guter Nahrungsmittel schon eine wesentliche Ursache. Wir müssen einen besseren Umgang mit der verfügbaren Nahrung lernen, und ich denke es sollten auch günstigere Nahrungsmittel, die zwar gut schmecken, aber weniger anschlagen, verfügbar werden. Hierfür will dieses Programm die Voraussetzungen schaffen, indem es die Bedeutung von Eiweiß und von verschiedenen Arten von Kohlenhydraten genau untersucht, und zwar mit Bezug auf das Individuum, da jeder Mensch eben doch ein wenig unterschiedlich ist.

Welche Rolle spielt die Ernährung, kann man trotz Vorbelastung schlank bleiben?

Ganz zweifellos, auch mit Vorbelastung kann man ein normales Körpergewicht aufrecht erhalten, es mag nur etwas schwieriger sein. Ein Zuviel an Ernährung führt bei jedem zu Übergewicht, aber manche Menschen haben es leichter, da sie durch einen höheren Energieumsatz mehr essen können als andere und wahrscheinlich einen geringen Antrieb zum Essen haben. Mit dem zunehmenden Lebensalter nimmt der Energieumsatz ab, so dass man eigentlich weniger essen müsste, zugleich aber meistens auch weniger Energie verbraucht, da man weniger Sport treibt, weniger Fahrrad fährt und dadurch langsam zunimmt. Ein durchschnittlicher Bürger nimmt etwa ein Pfund pro Jahr zu. Man könnte das vermeiden, zum Beispiel, indem man nach Weihnachten Fastentage einlegt und erst einmal wieder das Kilogramm abnimmt, das man vor Weihnachten zugenommen hat.

Nur noch Obst, Gemüse und Fisch hält sicher kaum jemand durch.

Das ist zweifellos richtig und es geht eben in unserer Diogenes-Studie auch darum, die Grundlagen für eine vernünftige und akzeptable Ernährung zu legen. Die genannten Nahrungsmittel sind nach unserem gegenwärtigen Kenntnisstand zweifellos gesund, es geht aber in der Studie beileibe nicht nur um Obst, Gemüse und Fisch, sondern vielmehr um die Zusammensetzung der Hauptnahrungsmittel, nämlich Eiweiß und Kohlenhydrate. Das Fett dagegen soll auf einem guten Maß für den Stoffwechsel gehalten werden, nämlich 30 Prozent der Energie der Nahrung.

Sie haben den Glykämischen Index im Visier.

Der Glykämische Index (GI), bei uns oft als GLYX abgekürzt und damit gleich mit dem Glück in Beziehung gesetzt, bezieht sich auf die Geschwindigkeit, mit der Kohlenhydrate, also in Stärke vorhandene Zuckermoleküle, in den Körper aufgenommen werden. Nudeln, Reis, Kartoffeln und Brot unterscheiden sich in der Geschwindigkeit, mit der der enthaltene Zucker im Stoffwechsel ankommt.

Was wissen Sie über die Rolle des Glykämischen Indexes beim Übergewicht?

Ob der Glykämische Index wirklich eine Rolle spielt, ist wissenschaftlich nicht geklärt, und seine Bedeutung wird von einigen lautstarken Vertretern sehr wahrscheinlich doch überschätzt. Damit man hierüber bessere und sichere Erkenntnisse erhält, wird die Studie den Glykämischen Index systematisch untersuchen, indem man eine Gruppe mit einem hohen und eine andere mit einem niedrigen Glykämischen Index ernährt. Dabei wird wahrscheinlich herauskommen, dass einige Leute den Glykämischen Index beachten sollten, während andere kaum davon profitieren. Ganz wichtig ist im Zusammenhang mit dem GLYX auch das Protein, da die gleichzeitige Aufnahme von Protein und Kohlenhydraten zu einer schnelleren Absenkung des Blutzuckers nach einer Mahlzeit führt und wahrscheinlich günstig ist.

Wodurch wird der Blutzucker am ehesten langfristig erhöht?

Beim gesunden, schlanken Menschen steigt der Blutzucker, selbst wenn er eine Zuckerlösung trinkt, nur ganz gering an, von etwa 80 auf 120 Milligramm pro Deziliter. Wenn man übergewichtig ist, kann dieser Anstieg des Zuckers schon sehr viel größer ausfallen, weil die Insulinwirkung durch das Übergewicht gebremst wird und dadurch den ankommenden Zucker nicht so schnell in die Zellen einschleusen kann. Ein ausgeprägter Blutzuckeranstieg nach dem Essen ist also schon ein Zeichen einer beginnenden Stoffwechselentgleisung. Wer schlank ist kann wahrscheinlich essen was er will und es wird wenig Einfluss auf seinen Stoffwechsel haben. Für viele gesunde Übergewichtige gilt das aber auch. Zucker aus Stärke, wie er in Reis, Brot, Kartoffeln oder Kuchen vorkommt, ist allerdings fast so schnell verfügbar wie Haushaltszucker, obwohl süße Getränke tatsächlich noch am schnellsten und stärksten den Zucker ansteigen lassen. Übergewichtige haben zu etwa 30 Prozent schon eine beginnende Stoffwechselstörung und antworten auf Kohlenhydrate und Blutzuckeranstieg mit einer längeren Insulinausschüttung, die möglicherweise eine weitere Gewichtszunahme begünstigt und den Fettverbrauch bremst. Diese Menschen könnten vielleicht von einer Nahrung mit weniger Kohlenhydraten, profitieren. Das soll unsere Studie klären. Lebensmittel, die man eher meiden sollte sind gehärtete Fette, zu viel gesättigte Fette und zu viel zuckerhaltige Getränke.

Sie gehen davon aus, dass Nahrung mit hohem GI und wenig Protein Übergewicht begünstigt. Haben Sie Beispiele?

Etwa zuckerhaltige Getränke, Weißbrot, Kartoffeln, Reis, Graubrot, Kuchen.

Ihr Ziel sind neue Ernährungsempfehlungen, was könnte hier geändert werden?

Ein wesentlicher neuer Aspekt ist die Frage, ob ein hoher Proteingehalt günstig ist. Dafür spricht einiges und es könnte dazu führen, dass viele Nahrungsmittel mit Protein aus neuen Quellen entwickelt werden, wie zum Beispiel aus Pflanzen, aus Milchprodukten, aus Fisch und tierischem Eiweiß. Wenn sich tatsächlich herausstellt, dass der Glykämische Index für eine bestimmte Gruppe von Vorteil ist, werden die Nahrungsmittel eine Auszeichnung des Glykämischen Indexes erhalten und für den Verbraucher die Auswahl geeigneter Nahrungsmittel sehr viel einfacher werden.

Sie denken auch an diätetische Produkte.

Diätetische Produkte sollten nicht mit Diät im negativen Sinne verknüpft sein, sondern es sollten Nahrungsmittel sein, die jeder gerne isst. Ich könnte mir vorstellen, dass man durch geschmacklich kaum wahrnehmbare Veränderungen deutlich günstigere Backwaren produzieren könnte, die durch eine Steuerung des Proteinanteils, der Ballaststoffe und der Art der Kohlenhydrate günstiger sind als die gut schmeckenden, normalen Schrippen und genauso gut sind. Eine Vielzahl der Beilagen, mit denen wir den größten Teil der Kalorien aufnehmen, könnte kalorienärmer werden und einen Teil nicht verwertbarer Kohlenhydrate enthalten, so dass man bei guter Sättigung weniger Energie aufnimmt. Die Art der Proteine könnte sich fortentwickeln, zum Beispiel indem proteinreiche Gemüse- und Getreidesorten gezüchtet werden und die Verwertung von Vollkornprodukten könnte Fortschritte machen, indem sie in einer Form angeboten werden, die für eine Mehrheit der Bevölkerung attraktiv ist.

Fragen von Jan Kixmüller

Prof. Andreas F. H. Pfeiffer (52 ) ist Leiter der Abteilung Klinische Ernährung am Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Bergholz-Rehbrücke (DIfE). Er forscht auch an Charité Berlin.

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