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Landeshauptstadt: „Wegen der Geselligkeit“

Neujahrstreffen der Behinderten-Selbsthilfegruppe

Ein wenig verloren wirkt der kleine Menschenkreis im weitläufigen Babelsberger Gemeindehaussaal. An dem großen eckigen Tisch stehen einige Stühle, die nicht besetzt sind. An der Ungemütlichkeit des Saals mit dem hellen Steinboden kann auch der gelbe Anstrich der fensterlosen Wände nichts ändern. Und kalt ist es. Dicht aneinander gedrängt, mit dampfendem Kaffee und warmen Semmeln, sitzt die Selbsthilfegruppe für behinderte Menschen bei ihrem Neujahrsempfang am vergangenem Montagabend.

Seit über einem Jahr trifft sich die Gruppe an jedem zweiten Montag im Monat im Babelsberger Gemeindehaus in der Schulstraße 8c. „Wegen der Geselligkeit“, meint Jürgen Becker, Vorsitzender des Potsdamer Behindertenverbandes und Mitinitiator der Selbsthilfegruppe. „Behinderte Menschen sind oft einsam. Noch viel einsamer, als nicht Behinderte.“ Weil Behinderte es schwerer hätten, in den Arbeitsmarkt integriert zu werden. Meist ohne Arbeit und wenig Geld würden sich viele nicht mehr unter Menschen trauen. Zu der inneren Blockade kämen dann auch noch die Hürden im Alltag durch die Behinderung.

Wenn Jürgen Becker so spricht, klingt das, als ob er all die Behinderten „da draußen“, aber nicht seine Gruppe meint. Wer einmal gekommen sei, der habe den ersten Schritt aus der Lethargie geschafft.

So wie Bernd Putz. Er ist so engagiert, dass er kaum Zeit hat, einsam zu sein. Seit seiner Geburt ist der 47-jährige Spastiker. In der Babelsberger Selbsthilfegruppe zu sein, heißt für ihn: Anpacken. Immer wieder stößt er Diskussionen an. Über Potsdam als barrierefreie Stadt. Über die Sicherheit für Behinderte an S–Bahn-Stationen. Über behindertengerechte Parkplätze. Als stellvertretender Vorsitzender des Potsdamer Behindertenverbandes hat Bernd Putz die Anliegen der Selbsthilfegruppe auch über den kleinen Kreis von sechs Menschen hinausgetragen. In einer Arbeitsgruppe „Bauen und Verkehr“, die er selbst gegründet hat, hat er nicht lange geredet, sondern gehandelt: Für Rollstuhlfahrer ist das Kopfsteinpflaster, vor allem bei Behindertenparkplätzen in der Innenstadt, ein Problem. Die Fugenmasse ist meist ausgekehrt, so dass sich die Räder leicht in den Spalten verkanten. Bei verschiedenen Bauunternehmen hat sich Bernd Putz über die geeignete Verfugung informiert und ist mit seinen Vorschlägen an die Stadtverwaltung herangetreten. Gemeinsam mit anderen hat er erreicht, dass für alle neu angelegten Behindertenparkplätze angemessenes Fugenmaterial verwendet wird.

Für Bernd Putz ist die Selbsthilfegruppe mehr als nur ein Ort, der Einsamkeit zu entgehen. Er engagiert sich für andere Behinderte und will so etwas verändern. Gern scherzt Bernd Putz über Rollstühle: „Rolls Royce“ – so nennt er ein luxuriöses Modell unter den Rollstühlen der Anwesenden. Mit seinem Humor kann er die anderen Teilnehmer mitreißen. So hofft er, neue Menschen für die Selbsthilfegruppe zu gewinnen.

Um den bescheidenen Kreis zu vergrößern, organisiert Jürgen Becker auch Treffen mit einer Behindertengruppe aus dem Babelsberger Oberlinhaus. „Unser Ziel ist ein gemeinsamer Treffpunkt für Behinderte in Babelsberg“, erklärt Becker. Am liebsten würde Becker diesen Treffpunkt in einem anderen Raum etablieren. So richtig behaglich fühle sich hier keiner der Anwesenden. A. Gencarelli

A. Gencarelli

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