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Landeshauptstadt: Wie Gerhard Probsthain starb ...

Sein Sohn bemüht sich um die Aufklärung der politischen Morde an vier Potsdamern

Sein Sohn bemüht sich um die Aufklärung der politischen Morde an vier Potsdamern Von Erhart Hohenstein Wegen Beihilfe zum Mord hat Peter Probsthain beim Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg Strafanzeige gegen den ehemaligen DDR-Staatsanwalt Hanserik Albrecht eingereicht, der als Pensionär in Berlin lebt. Der gebürtige Potsdamer, der heute in Höxter wohnt, will damit den Schuldigen an der Ermordung seines Vaters Gerhard Probsthain auf die Spur kommen. Bei der Kripo tätig Probsthain war zusammen mit sieben anderen Potsdamern im November 1949 verhaftet und vom Sowjetischen Militärtribunal des Truppenteils Nr. 48240 wegen Spionage zum Tode verurteilt worden. Er wurde am 23. September 1950 in Brest erschossen. Mit ihm teilten Klaus Glander, Heinz Bock und Erich Lübeck dieses grausame Schicksal. Erich Ebeling, Siegfried Giese, Lieselotte Gerich und Georg Löffler – Peter Probsthains Großvater – erhielten langjährige Freiheitsstrafen und wurden ins sowjetische Straflager Workuta bzw. ins Zuchthaus Bautzen eingeliefert. Probsthain, Glander und Lübeck hatten von bis 1946 – 1948 eine Tätigkeit in der Mordkommission der Potsdamer Kriminalpolizei ausgeübt, Bock war zum Zeitpunkt seiner Verhaftung dort noch immer beschäftigt. Sie gehörten einer Gruppe an, die Verbrechen sowjetischer Besatzungssoldaten an deutschen Zivilpersonen bearbeitete. Diese „Bearbeitung“ beschränkte sich allerdings auf die Weitergabe der Ermittlungsergebnisse an den sowjetischen Militärstaatsanwalt. Probsthain hatte die Unterlagen dort persönlich zu übergeben. Rückmeldungen über eine Strafverfolgung der Täter gab es nicht. Aus Gewissensgründen Dies brachte die drei Kriminalpolizisten dazu, aus Gewissensgründen Meldungen über solche Morde und auch Fotos der Opfer an das Ostbüro der SPD in Westberlin und an die Zeitung „Telegraf“ weiterzugeben. Probsthain und Glander arbeiteten inzwischen in der Verwaltung bzw. im Handel. Vor dem Redaktionsgebäude wurde letzterer einmal durch Hanserik Albrecht beobachtet, der danach bei einem Gaststättenbesuch Inge Glander androhte, er werde ihren Bruder „hochgehen“ lassen. Zu diesem Zeitpunkt stand Gerhard Probsthain bereits unter Beobachtung. Unglücklicherweise hatte er einen Potsdamer namens Nölte, der beim SED-Kreisvorstand als Schulungsleiter angestellt war, ins Vertrauen gezogen und ihn zu Treffs mitgenommen. Berichte des V-Manns Nölte sind in den Akten der Potsdamer BStU-Stelle erhalten. Der spätere Staatsanwalt Albrecht war damals Leiter der Kripo-Arbeitsgruppe, in der Probsthain, Glander, Bock und auch Lübeck arbeiteten. Er wurde als einziger nicht verhaftet. Albrecht war auch mit den übrigen Personen, die seinerzeit festgenommen wurden, gut bekannt. Daraus schöpft Peter Probsthain in seiner Anzeige wesentliche Verdachtsmomente. Außerdem liegt ein Brief vom 06.06.60 vor, in dem Albrecht Mittäterschaft bei der Verhaftung und Verurteilung der acht Potsdamer unterstellt wird. Er stammt von einer heute in Berlin lebenden Frau Sawitzky. Ihren Namen fanden die Ermittler im Gästebuch der Probsthains, was ihr die Deportation nach Workuta einbrachte. Während des Prozesses saß sie neben Probsthain auf der Anklagebank. Pieck: eine dunkle Sache Eine weitere interessante Aussage stammt von Inge Glander, verheiratete Tobinnis. Bei der verzweifelten Suche nach ihrem verschwundenen Bruder gelang es ihr, da sie als Sekretärin im Ostberliner Haus der Ministerien arbeitete, bis zum DDR-Staatspräsidenten Wilhelm Pieck vorzudringen, der im selben Gebäude sein Büro für öffentliche Sprechstunden eingerichtet hatte. Pieck blätterte in Akten und sprach von einer „dunklen Sache“, ohne konkret zu werden. Tränenüberströmt verließ Inge Glander das Büro. Einige Wochen später wurde sie zur Potsdamer Staatsanwaltschaft in die Heinrich-Mann-Allee 107 vorgeladen und erfuhr, dass Klaus Glander zum Tode verurteilt und hingerichtet worden war. Der Mann, der ihr das Kriegsgerichtsurteil vorlas, war – Hanserik Albrecht. Aufklärung erschwert Peter Probsthain, dessen Klage inzwischen an die Staatsanwaltschaft Neuruppin weitergeleitet wurde, muss nun erfahren, wie kompliziert die Aufklärung des Mordes an seinem Vater ist. Dass er sich erst nach mehr als 50 Jahre darum bemühen kann, ist nicht seine Schuld. In der Familie wurde über den Fall nicht gesprochen, zu den sowjetischen und DDR-Behörden war kein Zugang möglich. Den Tod seines Vaters bestätigte nach einer Suchmeldung 1962 das Rote Kreuz/Roter Halbmond der Sowjetunion. Er sei „verstorben“. Die 1995 von der Russischen Militärhauptstaatsanwaltschaft ausgesprochene Rehabilitierung seines Vaters und seines Großvaters erreichte ihn mit sieben Jahren (!) Verspätung im August 2002. Angeblich konnten die deutschen Behörden seine Adresse nicht ausfindig machen. In dem russischen Gutachten wird für alle acht Verurteilten festgestellt, dass die nach Westberlin weitergegebenen Informationen, zu denen auch Angaben über die politische Stimmungslage und die Nahrungsmittelversorgung in Ostdeutschland gehörten, „keine durch die Gesetze der UdSSR geschützten Staats- und Militärgeheimnisse“ betrafen und der zur Last gelegte Straftatbestand deshalb unzutreffend war. Die Verurteilten seien „aus politischen Motiven strafrechtlich zur Verantwortung gezogen“ worden und deshalb zu rehabilitieren. Der jetzt am Bodensee lebende Neffe Klaus Glanders erfuhr von dem Gutachten erst durch die Recherchen der PNN. Er überbrachte die Nachricht seiner Mutter, deren schwere Erkrankung er wesentlich auf das Leid zurückführt, das ihr „durch die Ermordung ihres Bruders, den sie über alles liebte“, zugefügt wurde. „Obwohl sie nicht mehr alles aufnehmen kann, wird sie sich sehr darüber freuen, dass Klaus Gerechtigkeit widerfährt und sein Fall öffentlich gemacht wird“, erklärte er. Schutzzaun des Schweigens Aber nicht nur die lange Zeitspanne seit den Morden erschwert die Aufklärung. Obwohl mit dem gebürtigen Potsdamer Hans M. Retzdorff ein exzellenter Kenner der deutschen Behördenlandschaft dabei hilft, türmen sich immer neue, z.T. rätselhafte Schwierigkeiten auf. Retzdorff war der Jugendfreund von Inge und Klaus Glander und auch mit Gerhard Probsthain gut bekannt. Bevor er 1946 in den Westen ging, hatte er mehrfach von Morden sowjetischer Soldaten an Zivilpersonen erfahren. Retzdorffs Versuche, Staatsanwalt Albrecht ausfindig zu machen, scheiterten zunächst an dem banalen Umstand, dass er als Vornamen Hans-Erik statt Hanserik angegeben hatte. Deshalb konnten ihn die Einwohnermeldeämter angeblich nicht finden. Retzdorff entdeckte ihn schließlich im Berliner Telefonbuch. Ein Auskunftsersuchen an den Berliner Senat über die Angaben Albrechts in seinem Pensionierungsverfahren wurden mit Hinweis auf den Datenschutz abgelehnt. Ein von Retzdorff bei der Staatsanwaltschaft Neuruppin angestrengtes Ermittlungsverfahren wurde eingestellt, weil die „vagen Hinweise“ nicht ausreichten und „nicht zu erwarten ist, dass der Beschuldigte selbst die Tat gesteht“. Auf Anfrage Peter Probsthains bedauerte das Bundesjustizministerium, ihm nicht weiterhelfen zu können, und legte eine Beratungsbroschüre bei. Auch die ehemals in Workuta inhaftierte Frau Sawitzky, die Albrecht belastet hatte, war nicht mehr gesprächsbereit. Es scheint, als ob um Albrecht ein Schutzzaun des Schweigens gezogen wurde. Retzdorff wurde empfohlen, sich an die Potsdamer Bezirksstelle für die Unterlagen der Staatssicherheit zu wenden. Die teilte ihm mit, über Albrecht lägen keine Akten vor. Diese Auskunft war falsch. Allein in dem 2001 erschienenen Buch „Justiz in Brandenburg von 1945 - 1955“ von Dieter Pohl werden fünf Dokumente über den ehemaligen Staatsanwalt aufgeführt, die bei der Behörde unter dem Aktenzeichen AIM 700/56 erfasst sind. Auf PNN-Anfrage meinte die Leiterin der BStU-Außenstelle, Gisela Rüdiger, der Vorgang sei ihr nicht bekannt und die unrichtige Auskunft müsse auf einem Versehen beruhen. Westberlin und zurück Wollte man den unbequemen Hans M. Retzdorff abwimmeln? Das wäre unverzeihlich, denn die Akten machen deutlich, wer Albrecht war. Der Staatsanwalt ging Ende 1949 nach Westberlin, was dem „Telegraf“ eine Nachricht auf der Titelseite wert war, und schloss sich dem Untersuchungsausschuss freiheitlicher Juristen (UfJ) an – aber nicht wie viele seiner damaligen Kollegen als politischer Flüchtling, sondern als Agent des sowjetischen Geheimdienstes KGB. „Albrechts Kollegen staunten nicht schlecht, als er im Juni 1950 auf seinen Posten zurückkehrte und seine Tätigkeit als Staatsanwalt im Dezernat I fortsetzte, als wäre nichts gewesen“, schreibt Pohl. Das veranlasste die Stasi zu einer Untersuchung, von der sie aber schnell die Finger ließ, als sie Albrecht als KGB-Agenten identifiziert hatte. 1953 durfte sie sich dann darüber freuen, solch einen prominenten Mann als IM „Holm“ anzuwerben. Die BStU-Behörde könnte Retzdorffs Anfrage noch einmal aufgreifen – vielleicht finden sich weitere Akten über Albrecht, die seine Rolle bei der Verhaftung der acht Potsdamer deutlicher machen und Auskunft über seinen weiteren Weg als Geheimdienstagent geben. Der Versuch, den pensionierten Staatsanwalt selbst zu einer Stellungnahme zu veranlassen, scheiterte erwartungsgemäß. Er kenne weder einen Probsthain noch einen Glander, teilte er am Telefon mit. Und es sei eine Frechheit, ihn nach Personen zu fragen, die er nicht kenne. Dann legte er auf.

Erhart Hohenstein

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