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Kultur: Das Bild der Welt als Rätsel

Die Schweizerin Suzanne Daetwyler in der Galerie für konkrete Kunst

Die Schweizerin Suzanne Daetwyler in der Galerie für konkrete Kunst Von Klaus Hammer Eine abgeklärte Harmonie erfüllt die geometrischen Formen und Linien, die im Gleichgewichtsspiel leise abgestimmter Werte poetisch erklingen. Man kann sie in den Arbeiten der Schweizer Künstlerin Suzanne Daetwyler empfinden, die die erst Ende vergangenen Jahres in Potsdam eröffnete Galerie für konkrete Kunst in ihrer zweiten Ausstellung zeigt. Durch das Wechselspiel von Auflösung und Verdichtung, auch durch übereinandergelegte transparente Schichten scheinen die Formen und Zeichen in Bewegung zu geraten und sogar die Dimensionen der Malerei zu überschreiten. Eine besondere Gruppe in ihrem Werk bilden die „Magischen Quadrate“. Man versteht darunter ein quadratisches Zahlenschema, bei dem Zeilen-, Spalten- und Diagonalsummen alle die gleiche Zahl ergeben, wobei im allgemeinen gefordert wird, dass die Zahlen paarweise verschieden sind. Sie erhielten ihre magische Bedeutung vor allem im Mittelalter, indem jedem Planeten ein magisches Quadrat mit einer positiven oder negativen Wirkung auf den Menschen zugeordnet wurde. (In Dürers berühmter „Melancolia“ etwa stellt das magische Quadrat den Jupiter dar.) Dem magischen Weltverständnis arabischer Gelehrter und der Renaissance waren magische Quadrate Ausdruck der Harmonie. Das sind sie auch für Suzanne Daetwyler. Die Ansicht des griechischen Philosophen und Mathematikers Pythagoras, dass die Wirklichkeit mathematisch sei – dass aus Chaos durch Zahlen Ordnung entstehe, ist das Prinzip, auf dem ihre Arbeiten beruhen. Den Verschlüsselungscode ihrer „Magischen Quadrate“ hat sie von dem französischen Mathematiker und Astrologen Nostradamus übernommen, sie hat dem Quadrat Zahlen und jeder Zahl wiederum eine Farbe gegeben. Diese Übersetzung von Zahl zu Farbe macht den eigentlichen Bildinhalt aus, die Visualisierung der Zahlenharmonie, das sinnliche Erlebnis, die Vermittlung auch von Magie. Bei den „Primzahlenbildern“ wiederum werden die aus Zahlen in Farben übertragenen Quadrate (die ungeraden Zahlen werden vertikal, die geraden Zahlen horizontal eingesetzt) so sehr ins Unendliche multipliziert, dass am Schluss der Arbeitsreihe ein kosmisches Vorstellungsbild suggeriert wird, das man – analog zu den Anschauungen der Astrologie – mit dem totalmenschlichen Spannungsfeld assoziieren kann. Hier bleibt jedes Element für sich, wird nicht vermischt. Die Einer sind am dunkelsten, die Tausender am hellsten, zeigen Unendlichkeit an und die Farbe verschwindet im Hintergrund. Gern arbeitet die Künstlerin mit Grau, weil es zu stärkeren Farben vermitteln kann. Denn dort, wo sich das Bildfeld aus den Farben Blau, Rot, Grün und Gelb aufbaut, wie in den Arbeiten zum „Balken“-Thema, steigern sich diese Farben aus scheinbar vollkommener Schwärze zu einem fluoreszierenden Licht. Die verwendete Acrylfarbe erlaubt sowohl die satten und deckenden Töne als auch die für die Bildwirkung entscheidende Homogenität ihres Auftrags. Suzanne Daetwyler zeichnet mit ihren Geometrien ein Bild der Welt als Rätsel. Sie zeichnet Elemente, die im Raum existieren, ohne dass sie wissen, woher sie kommen und wohin sie gehen. So wie wir. Sie zeichnet eine schwerelose Wirklichkeit, durchscheinende Oberflächen, reine Erscheinungen. So wie vielleicht unser Leben nur eine Erscheinung ist. In diesem Universum ohne Götter und ohne Antworten gibt es eine einzige Gesetzestafel: das Gesetz der Zahlenharmonie. Die Aufgabe des Menschen ist es nicht, sich der Transzendenz anzuvertrauen, sondern mit den eigenen Kräften einen Zustand harmonischen Gleichgewichts zu erschaffen, wenigstens in der Kunst, wenn das schon nicht im Leben möglich ist. In diesem mathematischen, von einer exakten Ordnung der Verhältnisse geregelten Spiegel gibt es keinen Raum fürs Negative, fürs Chaos. Von daher entsteht die substanzielle Heiterkeit ihrer Werke: eine Heiterkeit, die um das Fehlen letzter Antworten weiß, aber in säkularisierter Form mit der Hoffnung auf Harmonie tröstet. Die Kunst von Suzanne Daetwyler ist Maß und Harmonie, Auflösung und Verdichtung, aber die optische Homogenisierung ist alles andere als spannungs- und störungsfrei. Galerie für konkrete Kunst Potsdam, Friedrich-Ebert-Straße 33, Mi-Fr 15-18 Uhr, Sa-So 14-17 Uhr, bis 10. Februar. Zu der Ausstellung ist ein Katalog erschienen.

Klaus Hammer

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