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Kultur: „Könnt Ihr mir folgen?“

Über das Wie und Was bei Dietrich Kittner im Kabarett Obelisk

Über das Wie und Was bei Dietrich Kittner im Kabarett Obelisk Es lief wohl nicht so gut beim Gastspiel des Hannoveraner Alt-Linken Dietrich Kittner im „Obelisk“. Wunderte ihn ein halbleeres Parkett, so erfreute andere das halbvolle. An seinem Reise-Renault vor der Tür haften neben der erlaubten Eigen-Werbung „Kittners kritisches Kabarett“ weitere Kleber, „Give Peace A Chance“ und „Links tut gut“. Wie „links“ er allerdings ist, jenseits von Mitte und Rechts, die er im programmlosen Solo über drei lange Stunden mühsam vom Kopf auf die Füße zu stellen versuchte, war so klar nicht immer. Eines bleibt so diffus wie das andere. „Unabhängig, aber nicht neutral“, deutet solche Haltung von einer anderen Ecke an. Sein Outfit, Schiebermütze über dem längst weißen Haar, ein Tüchlein um den Hals, die Gitarre umgetan, hat er über die Jahrzehnte hinweg nicht verändert. Kittner, Jahrgang 1935, möchte auch heute noch ein Sänger der Revolution sein. Als er es zur Pause hin versuchte, folgte ihm das Publikum nicht, auch dann, als er, in guter Beatles-Manier, „revolution“ in „evolution“ umschmiedete. „Give Peace A Chance“? Jahre habe es gebraucht, um den Grünen damals einen Plakatdruck mit der Aufschrift „Frieden“ abzuringen. Die „Kriegsabstimmung“ im Bundestag zu Afghanistan verwandelte solche Freude in Frust, als etwa Antje Vollmer ihre abgegebenes Ja über die Medien zu einem verbalen Nein umfor-mulierte. Er kennt auch den früheren Juso-Vorsitzenden Gerhard Schröder aus gemeinsamen Tagen persönlich: Heute wirft er dem Kanzler vor, im Namen der ehemals linken Sozialdemokratie und in gemeinsamer Sache mit der Deutschen Bank den Sozialabbau zu führen. Rückte also die selbsternannte Mitte nach rechts, so müsse sich doch keiner über die Zunahme der Linken verwundern. Auch an Struck und Scharping, allesamt in der Jugend Gegner des Krieges, konnte der ruhelose Barde kein Haar unberührt lassen, denn heute täten sie genau das Gegenteil von dem, was sie früher sagten. Besonders Otto Schily nahm sich der Niedersachse mehrfach zur Brust. Kurz, mehr als 40 lange Jahre im politisch-kabarettistischen Tagesgeschäft, avancierte er zum Gewissen der ehemals Linken, auch wenn es diese nicht schert. Nur live, denn anders als Dieter Hildebrandt hat er sogar bei den „Öffentlich-Rechtlichen“ Auftritts-Verbot. Er mag sich, nota bene, mit den Fernseh-Redakteuren nicht „um Formulierungen streiten“. Brecht im Kopf, die deutsche Misere vor Augen, betonte Kittner immer wieder, all seine Geschichte wären nachprüfbar wahr. Etwas anderes kann er sich gar nicht leisten, es scheint im Hintergrund viele Prozess-Akten gegen den revolutionären Immerlinken zu geben. Offenbar glaubt er zuletzt selbst, dass Aufklärung not und nützlich sei, dass Argumente heute noch hälfen. Sein Kabarett ist analytisch-klug, wenn er nachweist, dass der Buschkrieg gegen Afghanistan und den Irak weit vor dem 11. September 2001 eingefädelt war, aber was nützt das? Und so stößt er sich den Kopf blutig, arbeitet sich, auch jenseits der Rente, ab an der Macht, wie alle Aufklärer vor ihm, immer vergeblich – sonst würden ja zwei seines Schlages tatsächlich noch die Welt verändern ... Bis zur Pause redete er wie im Vakuum. Was er sagte, das stimmte schon, über das Wie aber musste man sich wundern. Westelbische Kabarettisten scheinen alle eine Art Ost-Syndrom zu haben. Wie Pachl vorige Woche, fragte auch Kittner, ganz vertraulich: „Struck? Kennt Ihr doch! Stoiber, kennt Ihr den?“ Oder „Ihr im Osten wisst das ja am besten!“ Bei der Sentenz über O. bin Laden und den „StaMoKap“ (Staatsmonopolistischer Kapitalismus, nach Lenin) grummelte er von der Bühne „Könnt Ihr mir folgen?“ Wer wollte das schon, bei dieser linken Arroganz. Unwilliger noch kurz vor dem langen Ende: „Jetzt müsst Ihr aber mal mitdenken!“ Da war nicht viel zu kitten. Der alte Aufklärer hatte sein Publikum offenbar falsch eingeschätzt - es war gar nicht links - und Potsdam kannte er nur aus der Zeit, als es die D-Mark noch gab. Kein Pflaster für ihn. Klagen und Seufzen von oben herab: „Ja, muss ich denn meine Pointen dreimal erklären?“ Wahrscheinlich, die Wahrheit zu wissen ist eben nicht alles. G. Paul

G. Paul

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