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Kultur: Mit Schmiss im Walzerschritt

Neujahrskonzert mit den „Tailed Comedians“ und dem Staatsorchester im Nikolaisaal

Wer vieles bringt, wird manchen etwas bringen. Nach dieser Goetheschen Weisheit funktionieren auch Wunschkonzerte. Doch manchmal ist’s dabei des Guten zu viel, wie das Neujahrskonzert des Brandenburgischen Staatsorchesters Frankfurt im Nikolaisaal bewies. Fast ausschließlich Tierisches steht auf der von „geflügelten, gestachelten und gerupften" Offerten schier überquellenden Tageskarte, deren reizvoll zusammengestellter erster Teil erst nach 75 (!) Minuten in die ersehnte Pause entlässt. Um nicht noch einmal die gleiche Länge aussitzen zu müssen, wird kurzentschlossen gekürzt. Manches (Klang-)Schmankerl fällt dem Rotstift zum Opfer. Mehr vorbereitende Sorgfaltspflicht wäre besser gewesen.

Mit einem redensartlichen Aufmarsch aller nur erdenklichen Viecher, vorgelesen von Orchester-Intendant Christoph Caesar, eröffnet sich das tierische Rendezvous. Und auch danach gibt es von ihm reichliche Anmerkungen zu Nachtigall und Lerche, zu singenden Schwänen und umhersirrenden Hummeln Champagnerlaunig stürzt sich das Orchester zu Beginn in die „Fledermaus“-Ouvertüre von Johann Strauß, jr. Am Pult steht die junge Judith Kubitz, 1. Kapellmeisterin am Staatstheater Cottbus. Sehr zügig, sozusagen mit Schmiss im Walzerschritt, geht sie zu Werke, will sich und dem Orchester beweisen, dass sie die Zügel fest in der Hand zu halten beabsichtigt. Konzentriert ist ihre Zeichengestik, mit der sie frischen Wind ins Orchester bringt.

Das folgt der forschen Taktschlägerin willig. Dagegen gestalten die Musiker das „Nachtigall“-Porträt aus Respighis „Gli Uccelli“-Zyklus zu einem Notturno mit Flötengesang, der sich über wiegenden Klangwellenwogen des Orchesters erhebt. In einen lichten, sonnendurchfluteten Wald entführt die Tonmalerei vom „Kuckuck“, der sich bei seinen Rufen diverser Instrumente (Celesta, Flöte, Horn) bedient. So geht es munter durch faunische Gefilde. Dabei wissen Siegfried Ochs“ humoristische Variationen über „''s kommt ein Vogel geflogen“ genauso zu gefallen wie zwei Ausschnitte aus Camille Saint-Saens’ „Karneval der Tiere“: gefühlvoll, jedoch ohne Saitenbibbern lässt Orchestersolist Thomas Georgi celloselig den „Schwan“ singen, während „L’Elephant“ durch Kontrabassist Stefan Große Boymann gravitätisch herschreitet. Beide werden von Thomas Teske am Klavier begleitet, der zum Vokalensemble „Tailed Comedians“ gehört.

Dessen pianistische Unterstützung haben die fünf Sänger eigentlich nicht nötig. Sie sind technisch sehr versiert, und auch ihre Homogenität ist exzellent. Allerdings kommen sie an die stimmliche Prägnanz des legendären Vorbilds, der Comedian Harmonists, beim besten Willen nicht heran. Diese sind mit ihrem unverwechselbaren Sound einmalig gewesen, nicht klonbar. Wenn sie „In der Bar zum Krokodil“ verweilen, den bestellten Blumentopf überreichen, vom kleinen grünen Kaktus schwärmen oder einer Veronika einreden, der Lenz sei da – dann vermisst man schmerzlich des Basses Urgewalt, den tenoralen Schmelz des Originals. Das war textverständlich. Die „Tailed Comedians“ sind es nicht. Besonders offenbar wird’s beim Couplet vom „Nachtgespenst“.

Versuchen sie sich dagegen weniger im Abklatsch von Überlieferten, sondern in eigener Klanghumoristik à la zwanziger und dreißiger Jahre, dann wird’s originell. Beispielsweise bei den uraufgeführten Arrangements für A-cappella-Gesang, Klavier und Orchester, die den Nerv der Zuhörer treffen. Paul Abrahams operettiger Schmachtfetzen der „Blume von Hawaii“ ist genauso darunter wie Rossinis Ouvertüre zum „Barbier von Sevilla“ oder Rimski-Korsakows „Hummelflug“. Findet Johann Straußens „Perpetuum mobile“ kein Ende? Mitnichten. Das Orchester geht, als es ihm zu lange dauert, von der Bühne. Die Vokalisten folgen. Dann geht auch der Pianist. Zur Entgegennahme des Beifalls, nach zweieinhalb (Pflicht-)Stunden nebst diversen (Kür-)Zugaben erscheinen alle wieder.

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