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Kultur: Sternstunde des Belcanto

Enthusiastisch gefeierter Mezzo-Star Vesselina Kasarova aus Bulgarien im Nikolaisaal

Wenn es in der Höhe fehlt und in der Tiefe dünne wird, lästern gern böse Zungen, dann handele es sich um einen Mezzosopran. Für manche Vertreterinnen dieses Stimmfachs mag das auch zutreffen. Nicht so für die bulgarische Mezzosopranistin Vesselina Kasarova. Sie ist ein echter Mezzo, der über eine ausladende, ausdrucksstarke, in der Höhe üppig erblühende und tiefenorgelnde Stimme verfügt. Sie zu erleben, war in der Nikolaisaal-Reihe „Stars international“ am Sonnabend ausgiebig genutzte Gelegenheit. Dazu sind sogar Musikfreunde aus Berlin angereist. Der Saal ist proppevoll und lässt sich schon beim beifallumbrandeten Auftritt von Kasarovas herb-schöner Ausstrahlung in Bann ziehen.

Der Weltstar hat sich ein neues Programm erarbeitet und stellt es nun der Öffentlichkeit vor – in Potsdam. Sage keiner, hier sei nichts los! Mit Bedacht hat die Kasarova Opern- und Konzertarien von Georg Friedrich Händel, Joseph Haydn und Wolfgang Amadeus Mozart zusammengestellt, die vorrangig von introvertierten Seelenregungen der jeweiligen (Hosenrollen-)Helden künden. Diese bis in entfernteste Verästelungen zu ergründen und sie dem staunend lauschenden Publikum zu offenbaren, ist ihre Absicht. Dabei ist sie auf dem Podium kein Ausbund an körperlichem Temperament. Auch fackelt sie kein effekthascherisches Koloraturenfeuerwerk ab. Stattdessen horcht sie beim Singen in sich hinein, geht in Text und Musik voller Hingabe auf.

Ihre Stimme, samtweich und warm erblühend, gleicht einer Modelliermasse, mit der sich die hinreißendsten Nuancen gestalten lassen. Sie färbt Vokale und Konsonanten nach Sinngehalt, ohne dabei je manieristisch zu wirken. Sie koloriert Silben, dass es einem den Atem verschlägt. Eingedunkeltes lichtet sich urplötzlich auf, Helles umhüllt sich unverhofft mit wehmütiger Wonne. Ausdrucksstark und geschmeidig trägt Vesselina Kasarova den tränenreichen und todessehnsüchtigen Gesang des Cecilio „Pupille amate“ aus Mozarts Oper „Lucio Silla“ KV 135 vor. Gelöst und ebenmäßig strömt die Stimme, den Todesgedanken unaufhörliche Bewegung verleihend. Ein leichtes, stets kontrolliertes Vibrato sorgt für zusätzliche Intensität einer ganz schlichten und total verinnerlichten Gestaltung.

Ruggieros Liebesgefühle „Mi lusinga il dolce affetto“ aus Händels Zauberoper „Alcina“ hält sie zwischen Wonne und Wehmut ganz zauberhaft in der Schwebe. Spätestens an dieser Stelle muss der Pianist Charles Spencer genannt werden, der sich der Kasarova als ein gleichwertiger, feinfühliger, mitatmender und innerlich mitsingender, gänzlich uneitler Partner zur Seite stellt. Auch er ist des Leisen zugetan, zaubert die nuanciertesten Anschläge, entwirft aus Noten vortreffliche Charakterporträts. Als geradezu theatralischer Geschichtenerzähler erweist er sich in Haydns Kantate „Arianna a Naxos“, wo er – gleich der Sängerin – den rasenden Ausbruch neben die Verzweiflung, das Liebessehnen neben die Enttäuschung, das Hoffen neben Todeserwarten setzt. Zusammen mit Kasarovas ausladender Höhe und altsatter Tiefe entsteht aus der Kantate eine geradezu fesselnde Opernszene.

Als Theatervollblut liegen der Sängerin auch jene Konzertarien, in denen gebrochene Schicksale von ihren Seelenbefindlichkeiten künden. In Rezitativ und Rondo des Arsace „Ombra felice! Io ti lascio“ KV 255 ist es der Abschied von der Geliebten, in Rezitativ und Rondo des Idamante „Ch“io mi scordi di te?... Non temer, amato bene“ KV 505 Vergessen und Verzicht. Hier wie dort überrascht der Abstieg in schier unergründliche Tiefen, zu der die Sängerin mit einer Mühelosigkeit sondergleichen fähig ist. Auch in ausgewählten Mozart-Liedern herrscht das Thema des Abschied und der Wehmut vor. Geradezu stockend trägt sie die „Abendempfindung“ KV 523 vor. Schwerblütig und mit zuviel Dramatik aufgeladen deutet sie „Das Lied der Trennung“ KV 519 aus. Der „Kleinen Spinnerin“ KV 531 und „An Chloe“ KV 524 hätte ein wenig mehr Lockerheit und eine Prise Neckisches nicht schlecht angestanden. Die Lieder, so scheint es, sind (noch) nicht ihre Mozart-Welt.

Vor der Pause ist der Saal leider eingedunkelt, so dass das Mitlesen der Textübersetzungen nicht möglich ist. Danach sind wenigstens die Licht-Eier angeschaltet, was das Mitlesen zwar auch nicht verbessert, aber dem Raum eine reizvolle Atmosphäre verleiht. Natürlich wird die brillante Menschengestalterin enthusiastisch und anhaltend gefeiert. Mit ausgedehnten Arien aus Händels „Ariodante“ und Mozarts „Titus“ bedankt sich die Kasarova für die Zuwendungen eines ihr quasi zu Füßen liegenden Publikums, das einer Sternstunde des Belcanto beiwohnen durfte.

Peter Buske

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