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Kultur: Tiefintim und hochgelehrt

Bilder, Gedichte und Musik zum Thema Erotik in der Galerie Ruhnke

Was erotisch ist, das behält jeder am liebsten für sich. Nicht unbedingt etwas, dem man gerade am Sonntag Nachmittag im öffentlichen Raum nachspüren möchte. Die Galerie Ruhnke in der Hegelallee ließ sich dennoch auf dieses Experiment ein und wurde dafür mit einer Gästeschar belohnt, deren Anzahl weit über den Erwartungen lag. Die Hälfte der Zuschauer des „Gesamtkunstwerks“ aus der Lyrik des Berliners Michael Speier und den Klangimprovisationen des Saxophonisten Joachim Gies erlebte stehend den manches Mal gesotten erotischen Nachmittag mit.

„Jugendfrei ist das nicht“, lautet ein Kommentar einer Galeriebesucherin zu Speiers zum Teil sehr konkreten Körperuntersuchungen. Er, der Germanist und Herausgeber der Literaturzeitschrift „Park“, führte sein literarisches Ich in den Süden der USA. Dahin, wo die Hitze des Wüstensandes oftmals direkt in das beschriebene Liebespaar dringt und dieses, na ja, sich hingibt.

Der Dichter weiß selbst, dass Erotik „zum Schwierigsten in der Literatur gehört“, der Grat zwischen Kitsch und unangebrachter Direktheit sei ein schmaler. Die meisten Bilder und Metaphern zum Thema konkreter Liebe wären verschlissen, etwas Neues, ohne platte Vulgarität wäre eine Herausforderung. Die Künstlerin Anna Holldorf, die zeitgleich Werke in Ruhnkes Galerie ausstellt, fühlte sich dermaßen von Speiers Texten angeregt, dass sie diesen Illustrationen mitgab. Die Zeichnungen und Guachen, die mit den Texten zu einem Heft zusammengefasst auch erworben werden können, bildeten die Rückwand hinter Speiers Lesepult.

Neben Speier, immer Blickkontakt haltend, der Saxophonist Gies mit seinem kupfern glänzenden Horn. Seine Aufgabe war die experimentelle Begleitung und sogar Untermalung der Speier“schen Gedichte. So gesehen machte er seine Sache sehr gut. Anstatt sein Blasinstrument einfach nur zu spielen und vielleicht Romantisches in den Raum zu stellen, nahm er sich des Themas im Besonderen an. Gies saugte, atmete rhythmisch und röchelte lustvoll in sein Instrument. Als er seiner Experimentierfreude vollends entfesselte und es auch noch mit diversen Hilfsmitteln, bunten Kunststoffverlängerungen, Schläuchen und mächtigen grauen Rohren versah, mag mancher der angestrengt und intensiv in den Raum hineinhorchenden Galeriegäste konkretere Assoziationen entwickelt haben. Durchaus vom Künstlerduo beabsichtigt.

Denn auch Speiers Wortkreationen, schlanke, fast in der Wüstensonne von Arizona flirrende Impressionen, wechseln oft kunstvoll das Bildfeld. Die Farbe eines Fuchses, der durch das Bild huscht, erinnert schnell mal an den „mit Zähnen gezogenen Tampon“, um vielleicht eines der weniger gelungenen Beispiele zu nennen. Der Mond ist „gut und geil“ dreiviertel voll, als sich das Ich fragt, ob die ausgezogene Wirbelsäule seine Küsse noch weiter füttern wird. Der Mitfünfziger Speier, von dem auch im Potsdamer vacat Verlag ein Bändchen vorliegt, klingt bei seinem Vortrag so, als ob er seiner Poetik nicht richtig traue. Seine nüchterne Leseweise versucht auf Distanz zu gehen zu einem Text, der doch eigentlich dies gerade nicht verträgt, zielt er doch auf die Intimität des eigentlich Unaussprechlichen. Wenn da „ein Schlitz tobt vor meinem Mund“, knallt so manches Zuhören und Nachvollziehen unvermittelt vor eine Prüderieschranke. Zwei Umstände vermieden allerdings allzu heftiges Erröten. Zum einen operierte Gies mit seinen bunten Spielereien so offenkundig heiter, als ob er gerade selber mit seinem Horn ein lustvolles Bette teilte. Zum anderen – da sei zur Überprüfung die Lektüre empfohlen – sind Speiers Texte zugleich tiefintim wie hochgelehrt.

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