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Kultur: Vergessenes aus Halb-Asien

Im Verlag des Kulturforums ist ein Lesebuch zu Karl Emil Franzos erschienen

Im Verlag des Kulturforums ist ein Lesebuch zu Karl Emil Franzos erschienen „Halb-Asien“ ist heute auf keiner Landkarte mehr zu finden, wahrscheinlich war es auch noch nie in einem Atlas vermerkt. Karl Emil Franzos (1848–1904) ist der Erzähler dieses „Halb-Asiens“, wie er selbst die Region zwischen Don und Donau bezeichnete. Der aus Galizien stammende jüdische Autor brachte seine Heimat den deutschsprachigen Lesern schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahe, diese heute mit Mythen überladenen Landstriche zwischen Wien und Krakau, den Karpaten und Lemberg, Wolhynien und der Krim. Einst wurde Franzos in 33 Sprachen übersetzt, heute ist er fast vergessen. Das Potsdamer Kulturforum östliches Europa hat ihn nun mit einem Lesebuch bedacht. Sein populärster Roman „Der Pojaz“ ist die Schilderung einer gescheiterten jüdischen Emanzipation. Karl Emil Franzos selbst war ein fruchtbarer „Zweigeist“, wie ihn Walter Benjamin bezeichnete, der das Jüdische und Deutsche in sich auszubalancieren versuchte. Im Vorwort des „Pojaz“ schreibt Franzos: „Ich war noch nicht drei Käse hoch, als mir mein Vater bereits sagte: ,Du bist deiner Nationalität nach kein Pole, kein Ruthene, kein Jude – du bist ein Deutscher.“ Aber ebenso oft hat er mir schon damals gesagt: ,Deinem Glauben nach bist du ein Jude.““ Victor Klemperer schrieb im Jahre 1908 über Karl Emil Franzos: „Es dürfte fast ein Stückchen deutscher Ehrenpflicht sein, diesen Autor nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.“ Nun hat sich Oskar Ansull gut 100 Jahre nach dem Tod des in Czernowitz aufgewachsenen Dichters dieser Forderung angenommen. Ein wahres Lesebuch ist es geworden, in das man immer mal wieder neugierig blättert. Die Textsammlung mit Biographie lädt zu unkonventionellen Kreuz- und Quergängen ein. Bilder, Kommentare und Anordnung folgen dem Prinzip der Entdeckung. Oskar Ansull lässt Franzos selbst sowie andere Stimmen zu Wort kommen. Da sinniert Franzos etwa über die breiten, schnurgeraden Straßen Berlins, die so viel nüchterner sind als die der schönen, malerischen, allmählich gewordenen Stadt Wien, die nicht durch „eiserne Willenskraft“ erschaffen wurde. Das Lesebuch ist aus jahrzehntelanger Beschäftigung des Herausgebers, Lyrikers und Vorlesers Oskar Ansull mit dem galizischen Erzähler hervorgegangen. Es lässt diese deutsch-jüdische Schriftstellerpersönlichkeit des 19. Jahrhunderts wieder lebendig werden. Jan Kixmüller Ansull, Oskar (Hg.): ZweiGeist - Karl Emil Franzos. Ein Lesebuch. 333 S., Potsdam: Deutsches Kulturforum 2005, 14,80 Euro, ISBN 3-936168- 21-0. Buchpremiere ist morgen, 20 Uhr, Grüner Salon in der Volksbühne, Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin-Mitte.

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