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Potsdam-Mittelmark: Für Lehrstellen auf einer Linie

Gewerkschaftsvertreter und Handwerkskammer veranstalteten den neunten Gesellentag in Caputh

Gewerkschaftsvertreter und Handwerkskammer veranstalteten den neunten Gesellentag in Caputh Schwielowsee · Caputh - Eigentlich könnte sich Wolfgang König entspannt zurücklehnen und auf eine positive Bilanz verweisen: Zirka 1000 neue Betriebe in der Landeshauptstadt und den nordwestlichen Landkreisen der Mark sind im vergangenen Jahr in das Register der Handwerkskammer Potsdam aufgenommen worden, viele davon auch in der Mittelmark. Aber der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer warnt: „Zu jubeln wäre Augenwischerei.“ Denn bei den Unternehmensgründungen handele es sich vorwiegend um Ein-Mann-Betriebe und Ich-AGs. Viele davon hätten sich nur selbstständig gemacht, um den Zwängen zu entgehen, die ein Antrag auf das neue Arbeitslosengeld II mit sich bringt. Eine lange Lebensdauer will er diesen Unternehmen deshalb nicht bescheinigen. Hat das Handwerk noch einen goldenen Boden? Dieser Frage stellten sich am Sonnabend Vertreter aus traditionellen klein- und mittelständischen Unternehmen und Mitglieder von Gewerkschaften im Rahmen des traditionellen „Gesellentages“ im Märkischen Gildehaus in Caputh. Seit neun Jahren gibt es die Veranstaltung, die von Handwerkskammer und dem Deutschen Gewerkschaftsbund Berlin-Brandenburg durchgeführt wird. Die Antwort auf die Frage nach dem goldenen Boden fiel anfangs recht ernüchternd aus, denn durch die „ungesunde Zahl“ an Ich-AGs komme das Handwerk in eine Dequalifizierungs-Spirale, sagte König. So habe es zum Beispiel vor den Hartz-Reformen insgesamt 174 Fliesenleger im Gebiet der Potsdamer Kammer gegeben. Im vergangenen Jahr sei allein deren Zahl auf 780 gestiegen. „Jeder kann jetzt Fliesenleger sein.“ Daher will die Handwerkskammer nun verstärkt für Weiterbildungen – zum Beispiel Meisterlehrgänge – werben. In den nächsten Monaten werden von Plakaten allerorts die Vorteile beruflicher Qualifikation verkündet mit Botschaften wie „Bleib am Ball!“ oder „Verpass nicht den Anschluss!“. Darüber hinaus soll auch ein Werbespot in die Kinos kommen. Weiterbilden kann man sich bei der Handwerkskammer aber auch in Sachen Betriebswirtschaft. Denn ohne das Wissen, wie zum Beispiel eine Rechnung geschrieben wird, könne ein Jungunternehmer auf dem Markt nicht bestehen – die fachliche Qualifikation allein reiche nicht. Kritik an den Arbeitsmarkt-Reformen der Bundesregierung übte auch der Berlin-Brandenburgische Bezirkschef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Detlef Baer. „Ein Arbeitslosengeld-II-Empfänger muss auf 16 Antragsseiten sein Innerstes nach außen kehren, während Abgeordnete über ihre Gehälter schweigen.“ Es sei zudem skandalös, wenn in die Hartz-IV-Beiräte der Arbeitsgemeinschaften vorrangig Anbieter von „Ein-Euro-Jobs“ einbezogen würden. Baer forderte, dass Gewerkschaften und Arbeitgeber eine „angemessene Beteiligung“ in den Beiräten erhielten. Weiteres Thema des Gesellentages war die Erstausbildung Jugendlicher. Eine Forderung, mit der die Gewerkschaften beim hiesigen Mittelstand auf offene Ohren treffen, ist die Einführung einer Ausbildungsplatz-Umlage. Betriebe, die wenig oder gar nicht ausbilden, sollen sie zahlen. Diejenigen, die mehr Lehrlinge aufnehmen, als sie eigentlich brauchen, sollen von dem Geld profitieren. Denn gerade in den neuen Bundesländern, so hieß es am Sonnabend, sei die Bereitschaft, Lehrstellen zu schaffen, sehr groß. Jedoch war die Initiative der rot-grünen Koalition auf Druck aus der Industrie bereits im vergangenen Jahr gescheitert. Als gescheitert wurde am Sonnabend auch der Ausbildungspakt der Bundesregierung erklärt, schließlich hätten 2004 insgesamt 30000 deutsche Jugendliche keine Lehrstelle gefunden, so Gewerkschaftsfunktionär Wolfgang Rohde von der IG-Metall. Was auf Bundesebene in den Augen der Arbeitnehmervertreter fehlschlug, scheint hierzulande zu funktionieren: Im Rahmen eines Ausbildungskonsenses zwischen Landesregierung und Wirtschaft entstanden in Brandenburg voriges Jahr sieben Prozent mehr Lehrstellen gegenüber dem Vorjahr. Und hier sitzt auch der DGB mit im Boot. Die verschiedenen Interessengruppen in der Mark treten nach außen hin gemeinsam auf, betonte Sabine Hübner, Leiterin der Abteilung Arbeit im Landesarbeitsministerium. „Dieser Konsens ist eine Notwendigkeit und wirkt außerdem identitätsstiftend“, lobte sie die gemeinsame Linie. Schließlich habe das Handwerk trotz allem noch seinen goldenen Boden, resümierte Rohde am Schluss der Runde. Auch im Zeitalter der Globalisierung genieße es einen hohen Stellenwert in der Gesellschaft. Thomas Lähns

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