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Artistide Maillol: Le Désir

© © Collection Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam, Foto: Tom Haartsen.

Reliefs in der Hamburger Kunsthalle: Haptik als Reiz in der digitalen Welt

Wortwörtlich herausragend: eine umfassende Präsentation von Reliefs, ist in der Hamburger Kunsthalle zu sehen. Die Ausstellung ist eine Kooperation des Hauses mit dem Frankfurter Städel und internationalen Leihgebern.

„Herausragend“ nennt die Hamburger Kunsthalle ihre neueste Ausstellung und meint das wortwörtlich. Denn sie zeigt 130 Objekte aus der Zwitter-Kunstgattung Relief, einer Mixtur aus Skulptur und Malerei, Raum und Fläche, die es seit der Antike gibt. „Das Relief von Rodin bis Taeuber-Arp“, so der Untertitel der umfangreichen Schau, konzentriert sich auf rund 160 Jahre Kunstgeschichte seit 1800. Zu entdecken sind mehr als einhundert Künstler und Künstlerinnen aus Europa und USA, darunter viele bekannte Namen wie Thorvaldsen, Rodin, Matisse, Maillol (Titelbild), Gauguin und Picasso, mit überraschenden, meist unbekannten Werken dieser selten ausgestellten Kunstform.

Erste Relief-Ausstellung seit 40 Jahren

Die aktuelle Präsentation, die erste zum Thema „Relief“ seit 40 Jahren, wurde zusammen mit dem Frankfurter Städel erarbeitet und dort bis September gezeigt. Anlass zur Kooperation war „das Glück, dass die beiderseitigen Bestände einen wunderbaren Grundstock für eine Ausstellung zum experimentellen Medium des Reliefs in der Moderne bildeten“, so Kuratorin Dr. Karin Schick. Die Hälfte der Exponate kommt nun aus den beiden Häusern selbst, variiert dabei geringfügig zugunsten regionaler Präferenzen wie dem Bildhauer Karl Hartung in Hamburg. Die zweite Hälfte der Objekte steuern internationale Leihgeber bei, darunter die Kunstmuseen Basel und Den Haag, die Ny Carlsberg Glyptotek Kopenhagen sowie das Centre Pompidou und das Musée d´Orsay Paris.

Mit ihrem Auftritt in den Räumlichkeiten am Glockengießerwall und einer etwas anderen Themen-Abfolge als in Frankfurt entwickelt die Hamburger Ausstellung ihren eigenen Charakter. Auch hier erwartet den Besucher allerdings keine chronologisch gegliederte Schau, die eine kontinuierliche Entwicklung vorstellt. Vielmehr veranschaulichen vor Ort zwölf Kapitel Aspekte des Reliefs, die es zum Gattungssprenger mit eigenständiger Qualität machten.

Diskutiert wird beispielsweise der Abschied des Reliefs von der ursprünglichen Trägerplatte an der Wand, sein Weg aus Marmor und Bronze zu Alltagsmaterialien sowie der Übergang zu Vielfarbigkeit, Mehransicht und Augentäuschung. Mit dieser Erzählweise demonstrieren die drei Kuratoren - Alexander Eiling und Eva Mongi-Vollmer aus Frankfurt und Karin Schick aus Hamburg - die Vielfalt, die Spielarten und das Können der wenig bekannten künstlerischen Mischform, vor allem aber deren erstaunliche Experimentierlust und Innovationskraft.

Neue Formen, neue Farben

Klassizistische Bildhauer wie der Däne Berthel Thorvaldsen hatten sich beim Relief noch vergleichsweise konservativ an Werken der Antike orientiert. Doch schon Auguste Rodin sprengte im 19. Jahrhundert die Grenzen der Skulptur, und Maler wie Edgar Degas, Paul Gauguin und Henri Matisse fanden im Umgang mit dem Relief zu neuen Formen und Farben. Im 20. Jahrhundert sorgte die unorthodoxe Verwendung von Holz, Papier und Alltagsmaterialien zunächst bei Dadaisten wie Kurt Schwitters und Hans Arp, später bei Neorealisten wie Yves Klein, Günther Uecker und Daniel Spoerri für eine gründlich andere Anmutung von Reliefs.

Auch die russische Avangarde, das Bauhaus und die konstruktive Kunst – darunter Willi Baumeister, Oskar Schlemmer und Sophie Taeuber-Arp – wollten mit progressiven Reliefs nicht nur einen neuen Blick bieten, sondern zielten auch auf das Gestalten einer mo-dernen Welt und Gesellschaft.

Experimentalkunst und politische Sprache

Im Umfeld der Zerstörungen im Ersten und Zweiten Weltkrieg wurden Reliefs nicht nur verstärkt zur Experimentalkunst, z.B. bei Alberto Giacometti, Max Ernst und Daniel Spoerri, sondern auch zur politischen Sprache an den Wänden wiedererichteter Häuser im öffentlichen Raum.

Die Hamburger Kunsthalle zeigt dazu u.a. Henry Moores abstraktes Klinker-Wandbild für das Bouwcentrum in Rotterdam und die Documenta-Arbeit von 1964 seines offensichtlich von Piet Mondrian beeinflussten britischen Landsmanns Ben Nicholson. Dazu Landschafts-Reliefs aus der Vogelperspektive von William Turnbull, einem vormaligen Kampfpiloten der Royal Air Force.

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Reliefkunst von Frauen

Von besonderem Reiz in der Ausstellung ist die Aufmerksamkeit, die die Schau weiblicher Relief-Kunst widmet. Immerhin neun der 130 Werke stammen von Frauen. Alle entstanden im 20. Jahrhundert. Künstlerinnen, die die Möglichkeiten des Reliefs für ihre Arbeit bewusst einsetzten, waren u.a. Käthe Kollwitz, Niki de Saint-Phalle, Barbara Hepworth, Lou Loeber und nicht zuletzt Sophie Taeuber-Arp.

Zart und poetisch: „Coquilles et fleurs“ von Sophie Taeuber-Arp.

© Aargauer Kunsthaus, Aarau und Gottfried, Keller-Stiftung, Bundesamt für Kultur, Bern. Foto: Jörg Müller.

Die Schweizerin hat es mit ihrem Namen sogar als Counterpart zu Rodin in den Titel der Hamburger Ausstellung und mit ihrer wunderbaren Arbeit „Muscheln und Blumen“ („Coquilles et fleurs“) als Appetizer auf die Plakate in der Stadt geschafft. Ihr Relief von 1938 in Öl auf Holz, 60x60x7,7 cm groß, wirkt so zart und poetisch, wie dessen Bezeichnung klingt. Grandiose Vorläufer in ihrem minimalistischen Witz waren „Das Eierbrett“ (1922) und „Auge-Nase-Schnurrbart“ (1928) von Sophies Ehemann Hans Arp.

Auch Pablo Picassos ein Meter hohe, skurrile Violine aus buntem Metallblech und Eisendraht bedient reizvoll die Lust am Sehen und Berührenwollen. „Mit der Befreiung des Reliefs aus der gebundenen Fläche war „Violon“ 1915 ein Quantensprung“, sagt Kuratorin Eva Mongi-Vollmer. Kunsthallenchef Prof. Alexander Klar hofft denn auch, dass „die Wahrhaftigkeit des Reliefs, seine Fähigkeit, Tiefe und Lebendigkeit zu verkörpern, Anregung zum taktilen Sehen in einer digitalen Welt bietet“ und damit „zu einer Renaissance des Reliefs beiträgt.“

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