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Auch der Größte war mal Amateur. Muhammad Ali (r.) bei einem Kampf im Jahr 1960, als er noch den Namen Cassius Clay trug. Foto: AP

© AP/AP/dapd

Sport: Angriff der Amateure

Mit revolutionären Änderungen will der Box-Weltverband Aiba den Profis Konkurrenz machen.

Es ist ein Kampf ums Überleben, den das weltweite Amateurboxen führt. Ohne diesen Kampf droht es in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Es mangelt dem Boxsport an internationalen Stars, die Charisma und Anziehungskraft über den Ring hinaus besitzen. Und wenn es mal einen gibt, wie den Olympiasieger Anthony Joshua, dann überbieten sich die großen Promoter, die den Engländer als Profi unter Vertrag nehmen wollen. Joshua hatte im Sommer in London im Superschwergewicht die Goldmedaille gewonnen.

„Die Aiba hat das Desaster erkannt, unter dem die großen Boxmärkte USA, Mexiko und Deutschland leiden“, sagt Michael Müller, der Generalsekretär des Deutschen Boxsportverbandes (DBV). Seit Jahrzehnten verliert der Amateurboxsport weltweit seine besten Athleten an die Profis. Während dort Millionen gemacht werden, ringen die Amateure oft vergeblich um Aufmerksamkeit. Jetzt probt die Aiba, die Association Internationale de Boxe Amateure, den Aufstand.

„Es gibt wenige globalere Sportarten, aber wir müssen unser System völlig umkrempeln“, sagt Uwe Alten. „Wir wollen die Revolution des Boxens.“ Der Frankfurter Marketingexperte Alten ist eine Art Revolutionsführer. Mit Hilfe einer von der Aiba gegründeten Vermarktungstochter „Boxing Marketing Arm“ (BMA) werkelt Alten an diesem globalen Mammutprojekt. Künftig soll es Profiboxen auch unter dem Dach der Aiba geben.

Allein in Deutschland haben seit der Wiedervereinigung 40 zum Teil hervorragend ausgebildete Amateurboxer das Lager gewechselt, darunter 20 Topathleten, die bei Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften Medaillen gewonnen haben. Angefangen bei Henry Maske über Markus Beyer, Sven Ottke bis hin zu Jack Culcay, der 2009 in Mailand Weltmeister wurde. Inzwischen boxt Culcay für einen deutschen Profiboxstall, für Sauerland-Event aus Berlin.

Wirklich große Box-Champions wuchsen als Amateure, ehe sie bei den Profis zu Ruhm und Reichtum kamen. Zum Beispiel Muhammad Ali, der als Cassius Clay ebenso Olympiasieger wurde wie seine Nachfolger Joe Frazier, George Foreman, Leon Spinks, Lennox Lewis oder Wladimir Klitschko. Quereinsteiger sind die Ausnahme, etwa Marco Huck oder Arthur Abraham. Doch wer will heute noch durch die Knochenmühle des Amateurboxens gehen? Die Kämpfe finden weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Es gibt kaum Geld zu verdienen. Wer kann, der kehrt dem Sport den Rücken und wird Profi. „Dieses System müssen wir nach und nach trockenlegen“, sagt Uwe Alten.

Der Weltboxverband ist mit 195 nationalen Mitgliedsverbänden ein Tanker des Weltsports. Zwei Jahrzehnte lang wurde er vom bisweilen selbstherrlichen Pakistani Anwar Chowdhry beinahe zugrunde gerichtet. Seit 2006 amtiert der Taiwaner Wu Ching-kuo als Präsident. Der promovierte Architekt will dem Boxen ein neues Fundament und eine neue Statik verpassen.

„Wir sehen uns als Start-up in der weltweiten Boxindustrie“, sagt Alten. Von der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft KPMG ließ der Marketingexperte einen Businessplan erstellen, wie unter dem Dach der Aiba künftig auch Profiboxen etabliert und durch eigene TV-Verträge, Sponsoring und Eintrittsgelder langfristig positioniert werden kann. „Die guten Amateure sollen bei uns ihre Zukunft sehen“, sagt Alten. Vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) sei der Weltverband Aiba legitimiert, künftig eine Plattform zu bieten vom Nachwuchs bis hin zur Profiweltmeisterschaft. Das neue System basiert auf zwei Pfeilern: die „World-Series of Boxing“ (WSB) als Mannschaftswettbewerb und die „Aiba Professional Boxing“ (APB) als Individualplattform.

Die APB wird im Sommer starten. Die WSB, von den Betreibern gern als Champions League des Boxens bezeichnet, läuft in der dritten Saison, Deutschland ist zum zweiten Mal in Folge dabei. Anders als bei den Vorläufern nehmen jetzt nicht Stadtstaffeln, sondern Ländermannschaften teil. In dieser Saison kommen sie aus zwölf Nationen, die in zwei Sechsergruppen und fünf Gewichtsklassen kämpfen. Die deutsche Mannschaft nennt sich German Eagles, sie traf am Samstag nach je zwei Siegen und zwei Niederlagen auf den ungeschlagenen Tabellenführer Astana Arlans Kasachstan (nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe). Der Champion der Weltliga wird im Mai feststehen. „Insgesamt schütten wir dabei 5,8 Millionen Euro Preisgeld aus“, sagt Alten. Allein der Mannschaftssieger kassiert eine Million US-Dollar.

Um Amateure im klassischen Sinne handelt es sich vor diesem Hintergrund längst nicht mehr. In diesem Sinne weicht die Aiba auch die rigiden Grenzen zum Profisport auf. In der Weltliga gehen die Boxer über fünf Runden á drei Minuten, und das ohne Trikot und Kopfschutz. Zudem wird die Punktmaschine abgeschafft und das Wertungssystem der Profis herangezogen. Die Punktrichter entscheiden sich nach jeder Runde für einen Boxer und vergeben für diesen zehn Punkte, für dessen Kontrahenten neun.

„Wir müssen in unser Produkt investieren“, sagt Alten. Die Aiba habe bereits fünf Kampfrichter unter Vertrag genommen und schule weiterhin Personal im Interesse eines einheitlichen und nachvollziehbaren, weil transparenten Wertungssystems. Die Resultate fließen in ein neues Ranking ein. „Jeder Boxer wird sehen, wo er steht, welcher Kampf als nächstes ansteht, um sich nach oben zu boxen“, sagt Alten. Das sei ein entscheidender Vorteil gegenüber den bisweilen manipulierten Ranglisten der Profis, wo nicht selten Karrieren gebastelt würden. „Bei uns wird ein Boxer auch mal verlieren dürfen, ohne aber seine Karriere aufgeben zu müssen“, sagt Alten.

Die Aiba hofft, „dem rücksichtslosen Ausverkauf“ der besten Athleten durch die Profiställe einen Riegel vorgeschoben zu haben, sagte Michael Müller. Von den 40 Medaillengewinnern des olympischen Turniers in London sei bisher nur Anthony Ogogo zu den Profis gewechselt. Der Brite, der Bronze im Mittelgewicht gewann, unterschrieb bei der „Golden Boy Promotion“ in Los Angeles beim früheren Olympiasieger und Profiweltmeister Oscar de la Hoya.

„Den haben wir ziehen lassen“, sagt Alten. „Aber all die anderen Medaillengewinner sehen bei uns Perspektiven.“ Neben einem monatlichem Fixum für die Zeit der Weltligasaison erhalten die Athleten noch Antritts- und Siegprämien. So sind für einen Boxer, der zweimal im Monat zum Einsatz kommt, rund 40 000 Euro pro Saison realistisch. Und anders als bei den Profis, die von ihrer Gage noch Trainer, Physiotherapeuten, Hotelunterkünfte und Krankenversicherung bezahlen müssen, „hat der Sportler das Geld in seiner Tasche“, sagt Alten. Darüber hinaus bleiben den Kaderboxern die Mittel des Bundesinnenministeriums, Stiftung Deutsche Sporthilfe und Bundeswehr erhalten.

In der Weltliga herrschen schon jetzt professionelle Bedingungen, dennoch bleibt den Boxern der Zutritt zu Olympia erlaubt. Das IOC hat die Änderungen abgesegnet. „2016 wird bei den Spielen in Rio nach WSB-Regeln geboxt“, sagt Alten. Auch für Boxer, die heute als Profis aktiv und 2016 nicht älter als 34 Jahre sind, wird erstmals die Tür zu den Spielen geöffnet. Allerdings müssten sie Mitglieder ihrer jeweiligen Landesverbände werden.

Viel wird davon abhängen, ob die Aiba ein fernsehtaugliches Format anbieten kann, damit ihr Produkt unabhängig von der Anschubfinanzierung wird. „Boxen ist ein von TV-Sendern gewünschter Sport, weil er Einschaltquote generiert“, sagt Alten, der in „guten Gesprächen“ mit ARD, ZDF und Sky ist. Selbst die großen Pay-TV-Sender der USA, HBO und Showtime, zeigten Interesse. In Osteuropa ist ein erster globaler Investor gefunden, die WSB-Staffeln aus Polen und Italien werden privat finanziert. In Aserbaidschan und Kasachstan zahlt der Staat, in England, USA und Mexiko gibt es Partner in der Wirtschaft. Die Aiba peilt zur Saison 2015/16 den break even an, der Punkt, an dem der Erlös die Kosten deckt. „Wir haben gute Chancen“, sagt Alten, „aber Boxen bleibt ein hart umkämpftes Geschäft.“

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