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Sport: Aus dem Tagebau in die Wüste

Der frühere Baggerfahrer Matthias Kahle überrascht mit Kopilot Thomas Schünemann bei der Rallye Dakar

Berlin - Plötzlich ging nichts mehr. Die Räder des Honda-Buggy hatten sich bis an die Achsen in den mauretanischen Wüstensand gegraben. Matthias Kahle und sein Kopilot Thomas Schünemann wussten natürlich, was das bedeutet. „Wir mussten raus und selbst schippen.“ Jeder noch so gefühlvolle Druck auf das Gaspedal auf der siebten Etappe der Rallye Dakar von Zouerat nach Atar hätte die Situation für das Privatteam nur noch verschlimmert. „Eine ähnliche Situation hatten wir bereits in Marokko zu überstehen. Da standen gleich 30 Jugendliche bereit, die uns für Bakschisch helfen wollten“, erzählt Kahle. „Wir haben dann tatsächlich bezahlt, aber geholfen hat uns keiner.“ Diesmal kostete das „Einbuddeln“ das Team nur Zeit: eine halbe Stunde. „Erst einmal haben wir uns mächtig geärgert, denn ansonsten lief es auf diesem Abschnitt wieder super“, sagt der gelernte Software-Experte und Navigator Schünemann. „Matthias fährt super, und mir gelingt es immer besser, die Navigation vorausschauend zu bewältigen.“ So liegen Kahle und Schünemann trotz ihrer Probleme nach der achten Etappe auf einem hervorragenden zehnten Platz.

Das ist auch insofern bemerkenswert, als hinter den beiden Privatfahrern vom holländischen Team „Fast & Speed“ noch viele Werksteams platziert sind, die erneut Millionen Euro in das Abenteuer Rallye Dakar gesteckt hatten. Fast schon zur Nebensache gerät da die Tatsache, dass Kahle/Schünemann auch die so genannte Rookie-Wertung der Debütanten und das Klassement der Privatteams anführen.

Der 36 Jahre alte Matthias Kahle ist ein ehemaliger Baggerfahrer im Braunkohletagebau Welzow-Süd bei Cottbus. 1993 fuhr er seine erste Rallye, aber erst drei Jahre später stieg Kahle endgültig aus dem Bagger, wurde Rallyeprofi und errang sechs deutsche Meistertitel. Noch heute trainiert Kahle mit seinem Auto im inzwischen stillgelegten Tagebau. Zwar konnte der Görlitzer in dieser Zeit auch einige WM- Läufe bestreiten, aber die Chance zum Durchbruch in einem großen Team erhielt er nie.

Bei den Läufen zur deutsche Rallye-Meisterschaft lernten sich Matthias Kahle und Thomas Schünemann kennen, freundeten sich an und beschlossen in einer Eisdiele, etwas gemeinsam zu unternehmen. Aus dem Traum, einen Start bei der Rallye Dakar zu versuchen, wurde Realität – vor allem dank des Sponsorings der Hamburger Software-Agentur von Schünemann. „Aber auch abgesehen von den finanziellen Belastungen war der Dakar-Start 2006 keine einfache Sache“, sagt Kahle. „Der Veranstalter ASO hatte bereits Anfang Juli 2005 bekannt gegeben, dass die Nennliste wegen des großen Ansturms voll ist.“ Schünemann ergänzt: „Wir hatten schließlich Glück, dass wir noch einen Startplatz ergattern konnten.“

Vielleicht hat beiden auch geholfen, dass sie zunächst in Dubai und anschließend auch bei der Rallye d’Orient in der Türkei zur Überraschung aller Fachleute jeweils den fünften Platz belegt hatten. Sie ließen daraufhin den geplanten Start bei der Pharaonen-Rallye aus und fuhren lieber für eine Woche zum Training in die Wüste Tunesiens, um das Auto speziell für die Dakar-Rallye abzustimmen. Die beiden bauten jenen Buggy auf, mit dem der Franzose Thierry Magnaldi im Vorjahr den achten Gesamtrang und den Sieg in der Klasse für Autos mit Heckantrieb erreicht hatte.

Bis zur Halbzeit der Rallye Dakar, die am 31. Dezember 2005 in Lissabon gestartet worden war und am 15. Januar nach mehr als 9000 Kilometern (davon 4813 Prüfungskilometer) im Senegal endet, lief es für Kahle/Schünemann sehr gut. „Wir könnten noch viel besser liegen, wenn uns nicht die Höchstgeschwindigkeit verloren gegangen wäre“, hatte Schünemann bereits aus der marokkanischen Wüste berichtet. Statt der 185 km/h kam der Buggy zwischenzeitlich gerade einmal auf 155 km/h – da war gegen die Topteams nichts zu bestellen. Und gerade, als dieser Fehler behoben war, passierte das Missgeschick auf der siebten Etappe. „Schade“, sagt Matthias Kahle, „aber wir sind dennoch absolut happy. Jeder Tag bleibt für uns ein Abenteuer.“

Ein Abenteuer freilich, dass ein Happyend bekommen soll. „Ich hoffe immer noch, dass ich bei einem Top-Team einen Werksvertrag bekomme. Wenn ich sehe, wie das hier alles bei VW funktioniert, dann bin ich schon sehr beeindruckt“, hatte Kahle schon gesagt, als er noch von einem Platz unter den besten 20 in der Gesamtwertung träumte. Mittlerweile ist sein Anspruch höher. Heute ist Ruhetag bei der Rallye, dann werden sich Matthias Kahle und Thomas Schünemann in Nouakchott noch einmal hinsetzen und im Roadbook nachschauen, wo bis Dakar die schlimmsten Sandhindernisse zu vermuten sind. „Einbuddeln wollen wir uns auf keinen Fall noch einmal“, sagt Kahle.

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