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Um den Altstädter Ring liegen die wichtigsten Orten von Kafkas Prager Leben.

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Stadt der Moderne: Ein Spaziergang durch Kafkas Prag

Gegenwart und zugleich Vergangenheit: In Prag kam Franz Kafka zur Welt, hier lebte, arbeitete und schrieb er viele Jahre. Eine Spurensuche im 100. Jahr seines Todes.

Von Bernhard Schulz

Nein, gestorben ist Franz Kafka am 3. Juni 1924 nicht in Prag. Den Tod fand er in einem Sanatorium in der Nähe von Wien. Begraben allerdings wurde er acht Tage darauf in seiner Geburtsstadt, die wie bei nur wenigen Schriftstellern der Moderne seine Heimatstadt war und blieb, ungeachtet seiner durchaus zahlreichen Reisen.

Ein Bekannter, mit dem Kafka 1917 aus dem Fenster der elterlichen Wohnung blickte, hielt dessen Worte fest: „Hier war mein Gymnasium, dort in dem Gebäude, das herübersieht, die Universität und ein Stückchen weiter links hin, mein Büro. In diesem kleinen Kreis“ – und mit seinem Finger zog er ein paar kleine Kreise, so der Bekannte – „ist mein ganzes Leben eingeschlossen“.

Eine Illusion, der man gerne erliegt

Das Prag dieser „kleinen Kreise“ ist bis heute weitgehend vorhanden, die Gebäude, die Straßen, allerdings nicht mehr die Atmosphäre. Prag ist eine Touristendestination allerersten Ranges, eben weil die Stadt verspricht, ihre eigene Vergangenheit lebendig gehalten zu haben, ohne zugleich der Annehmlichkeiten der Gegenwart zu entbehren. In der Summe ergibt das eine große Illusion, der der Besucher gleichwohl gern erliegt. 

Das Prager Franz Kafka Museum

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Denn eines ist Prag ganz gewiss nicht: „kafaesk“. Versteht man darunter mit dem Lexikon eine „auf rätselhafte Weise bedrohliche Atmosphäre“, so mag sie einst in Prag zu spüren gewesen sein, in den feuchten und dunklen „Durchhäusern“, die man durchqueren konnte, ohne die Straßen benutzen zu müssen.

Vielleicht auf der alten Schlossstiege hinauf zum Hradschin, dem damals in keinem guten Zustand befindlichen Burgberg; eher noch in den Gässchen des jüdischen Ghettos, das freilich schon zu Kafkas Zeiten saniert und von der prachtvollen, nach Paris genannten Straße gradlinig durchschnitten wurde.

Aber man kann die Häuser betrachten, in denen sich Kafkas Prager Leben abgespielt hat. Die meisten befinden sich am oder in unmittelbarer Nähe vom Altstädter Ring, der kein „Ring“ ist, sondern ein Platz.

Kafka um 1920 in der Altstadt von Prag.

© dpa

Hier befanden sich die wechselnden Wohnungen der Familie, das Kurzwarengeschäft des Vaters, aber auch das deutschsprachige Gymnasium, das der junge Kafka besuchte, während er zur Grundschule ein paar Sträßchen weiter gehen musste, geleitet in einem geradezu epischen Konflikt mit und von einer Hausangestellten und ausgeliefert der drohenden Autorität des Lehrers.

Den Altstädter Ring ohne Massen von Touristen zu besichtigen, ist ein Ding nahe der Unmöglichkeit; vielleicht an einem grauen Novembermorgen oder im Februar, wer weiß. Gewöhnlicher und geschäftiger ist das Leben beispielsweise in der Straße Na Porici, an deren Nummer 7 die „Arbeiter-Unfall-Versicherungsanstalt für das Königreich Böhmen“ lag, bei der Kafka 14 Jahre seines Lebens angestellt war, zuletzt als „Obersekretär“ mit einem Büro gleich neben dem des Direktors.

Abends mag er links heraus und dann die erste Straße rechts gegangen sein, vorbei am Staatsbahnhof, heute Masaryk-Bahnhof und wunderschön restauriert, geradezu zum Café Arco, das die vorspringende Ecke zur Hybernská beherrscht. Dort pflegten sich die deutschsprachigen Dichter Prags zu treffen, Kafka eher unregelmäßig. Mag im Fenster auch eine Fotokopie des einstigen „Prager Tagblatts“ ausliegen – das ist nun wirklich vergangene Vergangenheit.

In der Kafka-Ausstellung im DOX Contemporary Art Centre in Prag

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Dann schon lieber hinüber auf die Kleinseite, wie das alte Viertel am linken Moldau-Ufer heißt. Hier liegt das Kafka-Museum, eröffnet 2005 im Gebäude der Hergetová-Ziegelei am Moldauufer. Es zeigt Erstauflagen der Werke Kafkas, Korrespondenz, Tagebücher, Manuskripte, Fotografien und Zeichnungen, dreidimensionale Exponate sowie eigens für die Ausstellung entstandene audiovisuelle Stücke und ein Soundtrack. Die Adresse lautet Cihelná 2b, am besten hält man sich von der Karlsbrücke aus am Ufer rechts – immer mit Blick auf die Altstadt gegenüber.

Ebenfalls auf der Kleinseite hatte Kafka zwei seiner wechselnden Wohnungen, wenn man das Hutzelhäuschen in der damaligen Alchimistengasse 22 dazuzählen will, die heute als „Goldene Gasse“ vermarktet wird. Kafkas jüngste (Lieblings-)Schwester Ottla hatte das einstöckige Häuschen gemietet, ihr Bruder zog sich hierher 1916/17 zum Schreiben zurück, bis im August mit einem Blutsturz die unheilbare Tuberkulose ausbrach.

Von da an wurde sein Leben von Kur- und Sanatoriumsaufenthalten bestimmt, doch erst am 1. Juli 1922 konnte er seinen Arbeitsplatz als Frühpensionist aufgeben. Die Bindung an Prag lockerte sich, er zog vorübergehend sogar nach Berlin, auch die Auswanderung nach Jerusalem wurde erwogen. Die Zahl der Veröffentlichungen seiner Prosastücke nahm zu, nicht zuletzt aus materieller Not, doch erst nach dem Tod tauchte sein Lebenswerk auf und entfaltete universelle Wirkung.

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