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Betriebspraktika sind für Jugendliche eine Möglichkeit, erste Berufserfahrungen zu sammeln – und für Unternehmen eine Chance, für sich zu werben.

© imago/anp

Schülerpraktikant:innen: Mühsamer Blick ins Berufsleben – trotz Fachkräftemangel

Handwerk und Industrie fehlen Tausende Fachkräfte. Die Talente der Zukunft sitzen bereits in den Klassenräumen. Doch mit Schülerpraktika tun sich viele Unternehmen sehr schwer.

Von Shaynah Al-Ibrahim

Gülsahs erste Erinnerungen an die Arbeitswelt sind eher negativ. „Häufig kam überhaupt keine Antwort“, beschreibt die heute 18-jährige Schülerin aus Düsseldorf die Reaktion von Unternehmen auf ihre Praktikumsbewerbungen. Wenn sich Firmen doch zurückmeldeten, dann mit einer Absage. „Es wurde kein Grund angegeben, meist kam ein bloßes ‚versuchen Sie es gerne zu einem anderen Zeitpunkt nochmal’ zur Antwort.“

Ein schwacher Trost für Gülsah: Sie ist mit ihrer Erfahrung nicht allein. Als sich Hayrunnisa, heute 17 Jahre alt, bei einer Kamps-Filiale um ein Schülerpraktikum bewirbt, bittet sie der Chef dort, ihm den Zeitraum und ihre Daten über Whatsapp zu senden. „Dies habe ich getan“, erzählt sie. „Trotz Erinnerung hörte ich zwei Wochen, weder von einer Annahme noch von einer Absage.“  

Praktika sind definitiv eine super Idee, wenn man sie am richtigen Platz macht. 

Gülsah, Schülerin aus Düsseldorf

Die meisten Schüler:innen werden im Laufe ihrer Schulzeit hierzulande mindestens einmal mit der Herausforderung eines Betriebspraktikums konfrontiert. Doch obwohl die Unternehmen über einen Fachkräftemangel klagen und die Quote der nicht besetzten Ausbildungsplätze steigt, scheint eine große Zahl von Firmen kein oder kaum Interesse an Schülerpraktikantinnen und -praktikanten zu zeigen. Dabei sollten in den neunten und zehnten Klassenstufen doch eigentlich die Talente der Zukunft sitzen.

Praktikant:innen von heute sind Fachkräfte von morgen

In vielen Bereichen werden Menschen mit praktischer Expertise benötigt: Energiewende, Digitalisierung, Infrastruktur. „Das Fehlen von Fachkräften belastet nicht nur die Betriebe, sondern gefährdet auch den Erfolg bei wichtigen Zukunftsaufgaben“, warnt Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK).

„Praktika allein können den Fachkräftemangel natürlich nicht bekämpfen“, sagt Stephan Kroll, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bundesinstitut für Berufsbildung in Bonn (BIBB). Sie seien aber für Jugendliche eine gute Möglichkeit, „erste berufliche Erfahrungen zu sammeln“ und vielleicht sogar den künftigen Ausbildungsberuf kennenzulernen. Für Unternehmen sei es die Gelegenheit, für sich zu werben.

Nach Aussage der Wirtschaft nutzen auch viele Betriebe diese Gelegenheit verstärkt. „Mehr als jeder zweite Ausbildungsbetrieb (51 Prozent) will nach der DIHK-Umfrage im Jahr 2022 zusätzliche Praktikumsplätze zur Verfügung stellen“, sagt Achim Dercks. Noch höher liege die Quote in der Industrie, im Maschinenbau oder im Gastgewerbe.

Nicht nur eine Frage der Unternehmensgröße

Doch wenn die Bereitschaft der Unternehmen so hoch ist – woher kommt dann der Eindruck von Schüler:innen wie Gülsah oder Hayrunnisa, bei Betrieben wenig willkommen zu sein? Eine mögliche Erklärung: Große Betriebe sind weitaus besser auf Schülerpraktikant:innen eingestellt und werden von diesen auch als „attraktiver“ wahrgenommen, wie Bernd Fitzenberger sagt, Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg. Dementsprechend würden große Firmen häufig zu viele und kleine Betriebe zu wenige Bewerbungen erhalten. Im Ergebnis kann das bedeuten, kleine Betriebe finden niemanden und große Firmen müssen Bewerber:innen ablehnen.

Ein weiterer möglicher Grund hat mit der Unternehmensgröße nichts zu tun. Eher mit dem Selbstverständnis, das in den Betrieben vorherrscht. „Wir machen sehr gute Erfahrungen mit Schülerpraktikant:innen“, sagt eine Sprecherin von Henkel. Allein im vergangenen Jahr hätten rund 125 Mädchen und Jungen in der Düsseldorfer Zentrale einen Einblick in die Arbeit des Konsumgüterherstellers bekommen. Dauer der Praktika: zwischen einer und vier Wochen. Ein paar Kilometer rheinaufwärts, bei Toyota in Köln, ist die Einstellung hingegen eine ganz andere. Das Unternehmen benötige nur spezialisierte Fachkräfte, sagt Sprecherin Sandra Tibor. Praktika gebe es deshalb nur für Studierende. Schülerinnen und Schülern könne in zwei Wochen Schulpraktikum „kein wirklicher Einblick gewährt“ werden. Auch eine „entsprechende Betreuung“ müsse sichergestellt sein. 

Ein weiterer Faktor für die Schwierigkeit, einen Praktikumsplatz zu finden, ist nach Aussage von Experten die fehlende Unterstützung der Bildungsbehörden. „Schulen sollten Praktika fest in ihren Lehrplan einbauen, um die zeitliche Flexibilität zu erhöhen“, schlägt IAB-Chef Bernd Fitzenberger vor. Üblicherweise gehen ganze Klassenstufen zum selben Zeitpunkt auf berufliche Schnuppertour – und konkurrieren um eine begrenzte Zahl von Plätzen. Praktikumsslots über das Jahr hinweg könnten die Situation für Schüler:innen und Betriebe entzerren. Zudem benötigten Schulen ein Netzwerk von Betrieben, fordert Fitzenberger.

Für Gülsah und Hayrunnisa ging die Suche nach einem Praktikumsplatz trotz des Stresses im Vorfeld gut aus. Hayrunnisa bekam nach langem Bangen dann doch eine positive Antwort von der Bäckerei. Und Gülsah lernte die Arbeit in einer Autismus-Therapiepraxis kennen. „Praktika sind definitiv eine super Idee, wenn man sie am richtigen Platz macht. Und das habe ich“, sagt sie. Ihre Erkenntnis: Psychologin möchte sie nun doch nicht werden.

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