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Wirtschaft: Vom schönen Schein

243 Jahre alt ist die Königliche Porzellan-Manufaktur, ein Berliner Schmuckstück. Jetzt steht sie mal wieder vor dem Bankrott

Berlin - Es geht um Geld, wie immer in der Wirtschaft. Aber man kann auch mit der Liebe beginnen.

Berlin-Tiergarten, Königliche Porzellan-Manufaktur (KPM), eine Frau schnitzt an einem Henkel, ihr Handwerk erklärt sie so: „Ich stelle mir vor, ich streichle meinen Geliebten.“ Sie lacht laut: „Hier kannst du der liebe Gott sein, aber ohne Gefühl geht gar nichts.“

In einer Porzellanmanufaktur ist das richtige Gefühl für die Arbeit unentbehrlich, für das Gießen von Formen, das Drehen, Brennen, Bemalen. Es ist aber auch wichtig für das Verkaufen der Ware, für Tradition und Geschichte. Dieses Gefühl, nennen wir es das kaufmännische Gefühl, ist der KPM verloren gegangen. Das Unternehmen, der erste Gewerbebetrieb der Stadt, 243 Jahre alt, steckt mal wieder in einer existenziellen Krise. Allein mit Liebe ist sie nicht zu bewältigen. Vielleicht mit sehr viel Geld.

Aber bleiben wir noch einen Augenblick beim Gefühligen. Man kann Porzellan auch ertasten, da fängt man bei den Zutaten an: Kaolin ist wie Mehl, Feldspat und Quarz liegen wie Schnee auf der Hand. Weiß ist auch nicht Weiß beim Porzellan, und wer zweifelt, dem geben erfahrene Verkäuferinnen zwei Teller in die Hände, von zwei Manufakturen. Augen zu, man soll spüren, dass Weiß sanft sein kann wie Seide oder grob wie Holz. Und wer immer noch nicht begreift, dem öffnen die Experten die Augen und verraten, dass die KPM ein Geheimnis hat: den dünnen Scherben und den kühlen Glanz der Glasur. Über alle Zeit erhaben sei diese Mixtur: das ewige Kapital der KPM.

Nun aber Schluss mit der Verklärung. Der Ehrlichkeit halber muss man sagen, dass die KPM trotz des schönen Scheins in einer Dauerkrise steckt, Spötter meinen, seit Friedrich II. von Preußen 1763 die Manufaktur gekauft hat. Der Alte Fritz gab sein blaues Zepter als Markenzeichen und machte eine Ikone aus der KPM. Nur rentabel war sie nicht. Auch in der jüngeren Geschichte war der langjährige Staatsbetrieb meist defizitär. In den Neunzigern war immer wieder von roten Zahlen die Rede, Verluste summierten sich in Millionenhöhe, und innerhalb von 15 Jahren scheiterten neun Manager. Die KPM wurde, ähnlich wie die Bewag oder die BVG, viel zu lange Zeit als städtisches Versorgungsunternehmen missbraucht, sagen Kritiker. Marktorientierung hätte da nur gestört, und die Vision einer Berliner Marke, weltweit etabliert, war zu groß für politische Lokalpatrioten. Hat die KPM denn nicht das Zeug dazu?

Der Stolz lag unter dem Schutt unternehmerischer Inkompetenz begraben, als 2004, im Privatisierungsverfahren, ein Blaublütiger auftauchte. Wer hätte besser getaugt zum Retter als der Kaiser- Urenkel? Franz-Wilhelm Prinz von Preußen kaufte mit Hilfe der Allgemeinen Beamtenkasse für drei Millionen Euro die KPM. Was traumhaft erschien, endete als Albtraum: Die vom Prinzen eingesetzten Manager vergraulten die besten Kunden, noch heute glaubt ein ehemaliger Geschäftsführer an „kriminelle Machenschaften. Die wollten das Geschäft zerschlagen“.

Bald schon machten Insolvenzgerüchte die Runde, die Gewerkschaft ließ ein Rechtsgutachten erstellen, das, hätte es vor Gericht Bestand, dem Senat Kosten in Millionenhöhe bescheren würde. 1988, beim Übergang der landeseigenen KPM in eine GmbH, sollen die Arbeitnehmer nicht ordnungsgemäß unterrichtet worden sein. 83 Beschäftigte sind noch von damals im Betrieb, sollte die KPM bankrott gehen, sähe sich der Senat 83 Klagen auf Weiterbeschäftigung im Land Berlin gegenüber, sagt die Gewerkschaft.

Insgesamt sind 170 Arbeitsplätze gefährdet, aber es hat sich schon ein neuer Gönner auf die Bühne gewagt. Der Chef der Allgemeinen Beamtenkasse, Jörg Woltmann, will die KPM übernehmen. Seine Bank war bisher schon der wirtschaftliche Eigentümer der Manufaktur, weil sie Erwerb und Betrieb durch Kredite sichergestellt hatte. Jetzt will Woltmann sein Privatvermögen einsetzen, angeblich sind die Verträge schon aufgesetzt und Notartermine vereinbart.

Derweil pendelt das Gefühl der Mitarbeiter hin und her zwischen Hoffnung und Frust. Wurde ihnen nicht schon viel versprochen? Sie warten darauf, dass endlich einer kommt und ihr Potenzial nutzt. Wie das von Andrea Gollin, 42, seit 1979 dabei. Gollin hat Angst, dass das Unternehmen doch dicht gemacht wird, aber das darf sie nicht sagen, weil zurzeit niemand etwas sagen darf bei der KPM, solange nicht klar ist, was wird. Die Blumenmalerin ist aber auch zuständig für Führungen durch die KPM – und da muss sie ja reden. Wenn sie erzählt, stolz, merkt man schnell: Die ist ein bisschen wie die Klassiker unter den KPM-Services, wie Kurland oder Urbino: leidenschaftlich kühl. In Nebensätzen wagt sie Kritik: „Wäre doch schade drum“ oder „daraus muss man doch was machen können“.

Das sehen Händler und Liebhaber nicht anders. Sie haben noch Sympathien, aber die sind arg strapaziert worden. Merkwürdige Geschichten erklären, warum es soweit kommen musste. Nehmen wir die: Die KPM steht kurz vor dem Vertragsabschluss für eine Repräsentanz in Italien. Plötzlich bricht eine führende KPM-Managerin den Kontakt zu den Italienern ab, eine Freundin, beruhigt sie Mitarbeiter, werde das Italien-Geschäft übernehmen. Kurze Zeit später taucht die Freundin auf der „Ambiente“ auf, einer wichtigen Messe in Frankfurt – als Hostess. Der Italien-Deal ist geplatzt. In Frankfurt ist die Geschäftsleitung nicht präsent, die Fachwelt staunt, der Handel ist brüskiert. Ein Berliner Kaufhaus, wichtiger Abnehmer für die teure Ware, schreibt nach erfolglosen Telefonaten einen bösen Brief, um überhaupt Kontakt zu bekommen.

Auch Hermann Franzen, eine der Kapazitäten auf dem deutschen Porzellanmarkt, ärgert sich über mangelnde Professionalität der KPM. Der Düsseldorfer Unternehmer und Präsident des deutschen Einzelhandelsverbandes weiß, dass „Vertrauen ungemein wichtig ist“. Das ins Management ist verloren gegangen, Vertrauen in die Produkte gibt es nach wie vor. Franzen attestiert „Marktfähigkeit und Überlebenschancen“.

Im Berliner KaDeWe sieht man das genauso, deshalb werde KPM-Porzellan von Alt und Jung gekauft, von Heteros und Homos. Die Alten, ab 60, kaufen bunt und klassisch. Die Jungen, ab knapp unter 30, mögen es weiß.

An dieser Stelle der Geschichte schaut man am besten bei Ulrich Gronert vorbei, um zu wissen, was die KPM in ihrer Historie geleistet hat. Der Kunsthändler, 37 Jahre im Geschäft, ist ein Berliner der Sorte brummig, aber mit Herz. Er handelt mit dem klassischen Geschirr, über die modernen KPM-Produkte meckert er nur, das letzte Dekor, „Berlin“ von 1996, sei grässlich. Auf den Hochzeitslisten im KaDeWe steht es zwar hoch im Kurs, aber das glaubt Gronert nicht und regt sich darüber auf, „dass heutzutage schon Männer fragen, ob man KPM-Geschirr in die Spüle tun kann“.

Er beamt sich wie mit einer Zeitmaschine durch sein Geschäft. Die Blumenmalerei aus dem Rokoko, „Weltspitze“, die vaterländischen Motive der Veduten-Maler, „einzigartig“. Gronert guckt zärtlich auf die „Apothekerbüchse“ aus dem 18. Jahrhundert, „ein super Spitzenstück“, er spaziert vom Rokoko zum Historismus, „in dem die Manufaktur technisch Großartiges geleistet hat“, und findet, im Jugendstil angekommen, dass „die KPM auch hier noch immer führend war“.

Zurück auf der Couch fällt dem Kunsthändler eine Anekdote ein: Vier Japanerinnen kommen herein, schauen sich sehr angetan ein bemaltes Service an, sie tuscheln aufgeregt. Nach zehn Minuten fragt eine: „It’s Meißen?“ Gronert sagt: „Better, it’s KPM.“ Die Touristen verlassen das Geschäft. Gronert seufzt: „Die KPM hat die Internationalisierung verpasst. Das ist ihr Problem.“

Noch so ein Problem, das die KPM schon lange mit sich herumschleppt. Friedrich II. war selbst sein bester Kunde. 1770 musste er sich beim Lesen der Kassenberichte eingestehen: „Seyne Königliche Majestät haben den summarischen Kassenextrakt erhalten und dabei nichts als dass Allerhöchstdieselbe noch immer den stärksten Abnehmer der Manufaktur abgeben, zu erinnern gefunden.“ Er begründete zwar die Tradition der Staatsgeschenke, doch der Export, auf den Meißen früh setzte, blieb ein Stiefkind.

Das ist bis heute so, die Zahlen sind eindeutig: Meißen hat einen Exportanteil von 50 Prozent, KPM von acht. Die notwendigen Konzepte liegen angeblich seit Jahren in der Schublade. Wer Experten fragt, bekommt viele Ratschläge: Man müsse die großen Berliner Hotels beliefern und auf reiche Russen setzen. Einer will einen Shuttelservice einrichten, der die Russen vom Hotel direkt zur KPM bringt, ein anderer will lieber direkt nach Moskau, am besten weiter nach Taiwan, Japan, China. Ja, China wär’s! Einer aus der Berliner Politik wünscht sich das Zusammenspiel von Porzellan und Kunst, ein Museum soll her, Kulturevents, wieder andere schwören auf den amerikanischen Markt, das Luxuskaufhaus Macy’s sei doch schon lange interessiert.

Die Mitarbeiter der KPM sagen, sie würden alles Erdenkliche für eine Zukunft tun, aber man lasse sie nicht. „Kleine Angestellte“, heißt es, „müssen das Gehirn beim Pförtner abgeben.“ Nur aufs Weihnachtsgeld durften sie verzichten. Verkümmert da die Liebe?

Noch ist sie an Ort und Stelle zu besichtigen: in der Goldpoliererei, wo die Fachkräfte Achatstifte benutzen, Halbedelsteine, die sie mit Handschuhen anfassen, damit kein Tropfen Schweiß den Glanz verdirbt. Oder in der Malerei, wo an der Wand große Gemälde hängen, mit den schönsten Blumen. Man könnte sie teuer verkaufen. „Ach“, sagen die Malerinnen, „sind nur Fingerübungen“, Training für das Bemalen des Porzellans. Eine Malerin verdient zwischen 900 und 2200 Euro brutto. Für einen einzigen Schinkelkorb, 17 000 Euro, braucht sie fünf bis sechs Tage, der Dekormaler 14.

„Wissen Sie“, sagt eine Frau, „wir machen hier keine Schokolade, die man aufisst. Für uns ist jedes Stück besonders, es gehört für immer uns, selbst wenn es verkauft ist.“

So reden Verliebte.

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