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Wirtschaft: Zufluchtsort Sofa

Um der grauen Wirklichkeit und dem Herbst zu entfliehen, wollen viele Deutsche auf die Couch – die klassische Sitzgarnitur ist nicht mehr gefragt

Maren Knödler kuschelt sich gemütlich auf ihr Sofa. Vor ihr liegt die Zeitschrift Elle. Doch bevor sie darin zu lesen beginnt, greift sie zum Telefon und spricht mit einer Freundin. „Mein Sofa ist für mich ganz allein, hier kann ich in Ruhe lesen und Kaffee trinken oder mit meinen besten Freunden zusammensitzen“, sagt sie. Ihr beiges Sofa „Klippan“ von Ikea hat sich die Medizinstudentin ausgesucht, weil es besonders gut zum Raum passt – klassische Moderne, Bauhauselemente, viel hellgelb und weiß.

Die Bedeutung des Sofas hat sich verändert. In den 60er Jahren war es noch Bestandteil der guten Stube und wurde gerade mal zu besonderen Gelegenheiten genutzt, etwa, um gemeinsam mit den Nachbarn einen Fernsehfilm anzusehen. Heute ist das Sofa ein ganz intimer Platz. Die meisten Leute verbinden ihr Sofa mit Wellness, sagt Eike Wenzel, Trendforscher beim Zukunftsinstitut in Kelkheim. Die Leute würden auf dem Sofa entspannen, Geselligkeit genießen oder sich auf ihm zurückziehen. „Früher hat man gesagt: Kleider machen Leute. Heute ist es die Inneneinrichtung, und das Sofa ist hier das zentrale Element, Ausdruck der Individualität.“

Und genau hierauf setzt die Branche. „In Deutschland haben wir auf dem Polstermöbelmarkt eine Sättigung erreicht“, sagt Lucas Heumann, Geschäftsführer des Verbands der Deutschen Polstermöbelindustrie. „Die Hersteller müssen die Kunden davon überzeugen, ihr Sofa auszutauschen.“ Durchschnittlich kaufen die Deutschen alle acht Jahre ein neues Sofa. Die Umsätze in der Polstermöbelindustrie sind jedoch in den vergangenen Jahren gesunken. Im Jahr 2000 lag der Produktionswert in der Polstermöbelindustrie nach Angaben des Hauptverbandes der deutschen Holz- und Kunststoffverarbeitenden Industrie noch bei knapp über einer Milliarde Euro, zwei Jahre später waren es nur noch rund 894 Millionen Euro. „Seit einigen Jahren herrscht in diesem Bereich eine Kaufzurückhaltung“, sagt Heumann. „Im Moment gibt es erste Anzeichen für eine Kehrtwende.“ Die größten deutschen Produzenten sind Rolf Benz bei Stuttgart, Himolla in der Nähe von München und Hukla bei Offenburg. Doch viele Kunden kennen sie nicht, denn Möbelhäuser verkaufen ihre Waren oft auch unter ihrem eigenen Namen.

Größter Möbelhändler weltweit ist Ikea. Nur sechs Prozent seiner Möbel und Wohnaccessoires bezieht das schwedische Möbelhaus aus Deutschland. Größte Lieferanten von Ikea sind China (18 Prozent), Polen (zwölf Prozent) und Schweden (neun Prozent). Überhaupt kommen 40 Prozent der hier zu Lande verkauften Polstermöbel laut Verband der Deutschen Polstermöbelindustrie aus dem Ausland, die meisten aus Polen.

Die Auswahl an Farben, Formen und Material für Sofas sind so vielfältig, dass dem Geschmack des Kunden keine Grenzen gesetzt sind. Und anders als bei der Kleidermode, wechseln hier die Trends nicht so schnell. Dennoch erforschen die Hersteller sehr genau, worauf die Kunden künftig sitzen wollen: „Wir lassen zuerst soziologische Strukturen ermitteln, lassen von Trendforschern neue Gewohnheiten und Bedürfnisse der Menschen untersuchen und setzen die Erkenntnisse dann in unseren Möbeln um“, sagt Irene Fromberger, Sprecherin von Rolf Benz. Für dieses Jahr hatte die Firma zwei Trends ausgemacht: „Tanz der Zeiten“ steht für den Rückzug aus der Realität in eine Welt der Illusion. Beim zweiten Trend, „Aufbau der Elemente“, bleibt der Vertreter stark mit der Realität verbunden und „stellt sich ihr mit den Mitteln seiner Ratio“. Für Trend eins steht das Modell „Rolf Benz 2900“: ein Longchair, bei dem die Lehne in verschiedene Positionen gekippt oder zu einem Bett umgeklappt werden kann. Das Modell soll eine Art „fliegender Teppich“ sein, auf dem man alleine oder zu zweit abheben könne. Preis: ab 2320 Euro mit Stoff und ab 3370 Euro mit Lederbezug. Das Modell „Ego“ ist Ergebnis von Trend zwei: Der Kunde kann es in 33372 Varianten zusammenbauen lassen. Dabei kann er zum Beispiel zwischen drei Sitzhöhen, drei Sitztiefen, zehn Sofabreiten, drei Rückenhöhen und 16 Seitenteilen wählen. Preis: In Stoff ab 2236 Euro, in Leder ab 3546 Euro. Im kommenden Jahr werden sich nach Einschätzung von Rolf Benz die beiden Trends dann zu einem mischen. Die Leute pendeln demnach zwischen Ratio und Emotio. Das will Designer Bernhard Eigenstetter mit einer Wende hin zu eher eckigen Formen widerspiegeln.

„Die konventionelle Polstermöbelgarnitur – ein Dreisitzer, ein Zweisitzer und ein Sessel – ist nicht mehr in“, sagt Petra Schleßing vom Sitzmöbelhersteller Pro Seda aus Sonneberg. Dafür sind in den Sofas eine Vielzahl von Funktionen integriert, so dass man auf ihnen sitzen, relaxen und schlafen kann. Wie zum Beispiel auf dem Modell „Alpha“ (Foto: promo). Es kostet in 200 Zentimeter Breite mit Stoffbezug ab 1972 Euro, in Leder ab 3015 Euro.

Auch bei Ikea achten Kunden auf das Funktionelle. „Der Trend geht hin zu Bettsofas“, heißt es bei Ikea Deutschland. Das Bettsofa „Tomellilla“ kostet hier 919 Euro, „Karlanda“ gibt es bereits ab 899 Euro. Doch der absolute Dauerbrenner bei Ikea ist nach wie vor „Klippan“ – nicht ausklappbar für 229 Euro. Seit mehr als 20 Jahren verkauft Ikea den Klassiker, etwa 20000 Stück im Jahr. Trendfarben 2003 sind vor allem warme Töne: rot, orange oder braun. Auch Maren Knödler überlegt jetzt, ob sie sich einen neuen Bezug kauft. Sie denkt dabei an Hellgelb.

Felizitas Thom

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