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Auch Architektur bildet politische Zustände und Lebenswirklichkeiten ab. Hier das klassizistischen Deutschen Theater Berlin von Eduard Titz.

© Theaterbausammlung

Theaterarchitektur: Im Spiegel der Schauspielhäuser

Ein Wissenschaftsteam von Berliner Hochschulen, auch Theaterwissenschaftler der Freien Universität, erforscht die Theaterbausammlung der Technischen Universität Berlin.

Theater reflektieren die aktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse“, sagt Jan Lazardzig, „aber sie vereinen auch – ähnlich wie Kirchen – ganz verschiedene Zeitschichten und Traditionen.“ Der Professor für Theaterwissenschaft an der Freien Universität beschäftigt sich mit der Architektur-, Technik- und Wissensgeschichte des Theaters. Eine ergiebige Quelle für sein Fachgebiet befindet sich in Berlin: die Theaterbausammlung des Architekturmuseums der Technischen Universität – eine der größten Kollektionen zur deutschen Theaterlandschaft.

Rund 5000 Quellen umfasst die Sammlung: Planmappen mit mehr als 300 detailliert aufgeführten Theatergebäuden, etwa 600 Glasplatten-Negative von Theaterfotografien, ein umfangreiches Konvolut von Lehrmaterial aus den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg sowie zahlreiche historische Bühnenbildzeichnungen.

Der Grundstock der Sammlung entstand im Auftrag von Albert Speer

Von 2016 bis 2018 wurde die Sammlung inhaltlich erschlossen und digitalisiert, nun soll sie kunst-, theater- und technikwissenschaftlich untersucht werden. Im Forschungsprojekt „Theaterbauwissen – Epistemische Kontinuitäten und Brüche im Spiegel der Theaterbausammlung der Technischen Universität Berlin“ kooperieren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Technischen Universität, der Beuth Hochschule für Technik und der Freien Universität, darunter Jan Lazardzig.

Drei Teilbereiche hat das für die Dauer von drei Jahren von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Vorhaben: Der Grundstock der Sammlung entstand im Auftrag von Albert Speer, Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt des nationalsozialistischen Deutschlands. 1939 regte dieser die Herausgabe des Handbuchs „Das Deutsche Theater“ an mit einer umfassenden Dokumentation aller Theaterbauten des sogenannten Großdeutschen Reiches. Obwohl das Projekt 1943 kriegsbedingt eingestellt wurde, sind 319 zentraleuropäische Theater erfasst, darunter 32 in Berlin. Kerstin Wittmann-Englert, Professorin der Architekturgeschichte an der Technischen Universität, und Doktorandin Franziska Ritter analysieren nun im Rahmen von „Theaterbauwissen“ die Archiv- Materialien. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Architekturfotografie des NS-Publikationsprojekts.

Im Quellenkonvolut der Theaterbausammlung enthalten ist auch der Nachlass des Bühnentechnikers und Professors Friedrich Kranich. Zuständig für dieses Forschungsteilprojekt sind Professorin Bri Newesely und Doktorand Halvard Schommartz von der Beuth Hochschule für Technik, an der es den deutschlandweit einzigen Studiengang für Theater- und Veranstaltungstechnik gibt – nicht zuletzt dank Friedrich Kranich. Bühnentechnische Kenntnisse seien zu Beginn des 20. Jahrhunderts als „Geheimwissen“ von Generation zu Generation innerhalb der Familie weitergegeben worden, erklärt Jan Lazardzig. Es ging dabei etwa um Flug- und Effektmaschinen und elektrisches Lichtdesign. „Kranich war der Erste, der die Bühnentechnik an die Hochschule gebracht hat.“ Das war in den 1960er Jahren und geschah auch auf Grundlage der Theaterbausammlung, der er später seine Schriften hinterließ. Anhand seines Handbuchs „Bühnentechnik der Gegenwart“ und weiterer unveröffentlichter Manuskripte wird an der Beuth Hochschule nun die Standardisierung bühnentechnischen Wissens erforscht.

Wie wird Theaterbauwissen institutionalisiert?

Eine dritte Ebene kommt hinzu, als die Theaterbausammlung Ende der 1960er Jahre zum Grundbestand des Instituts für Theaterbau der Technischen Universität wird. Sie wird erweitert, etwa um den Nachlass Gerhard Graubners. Der Professor für Entwerfen und Gebäudekunde an der Technischen Hochschule Hannover war nicht nur einer der ersten Vertreter des Lehrgebiets Theaterbau und Bühnentechnik in der Bundesrepublik, sondern prägte auch als Architekt die Theaterlandschaft der 1950er und 1960er Jahre. „Auf Basis der Sammlung die Theaterbaulehre der Nachkriegsmoderne aufzuzeigen“, sei der Beitrag, mit dem sich das Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität in das Forschungsprojekt einbringe, beschreibt Jan Lazardzig. Wie wird Theaterbauwissen institutionalisiert? Welche Rolle spielt dieses Wissensreservoir für den Wiederaufbau und Theaterneubau? Diesen Fragen will Lazardzig gemeinsam mit der Doktorandin Marie-Charlott Schube nachgehen.

Ein Foto Negativ des Admiralspalasts.

© Theaterbausammlung/Franziska Ritter

„Theater sind architektonische Verkörperungen von historischen Epochen und Zeitgeist“, betont der Wissenschaftler. „Als Ausdruck einer völkischen Gemeinschaft mit Führerkult wurden Theater beispielsweise im NS-Staat verstanden. Besonderes Augenmerk lag auf der Führerloge.“ Damit hätten sich die Architekten in eine monarchistische Tradition gestellt. Denn viele der europäischen Kulturbauten, die Speer dokumentieren ließ, sind mit Adelslogen ausgestattet und dienten der Repräsentation. Noch heute könne man sehen, wie man sich in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem teilweise auch belasteten Erbe auseinandergesetzt habe, sagt Jan Lazardzig. Am Deutschen Theater Berlin etwa habe man die ehemalige Führerloge beibehalten, weil sie stilistisch an die höfischen Barocktheater anknüpfe und deshalb nicht negativ als nationalsozialistische Ergänzung auffalle. Ursprünglich als Hinterhoftheater geplant, sei zudem vor dem Deutschen Theater nach der Bombardierung ein Vorplatz entstanden. Dieser sei nicht wieder bebaut worden – da er an die Tradition der deutschen Stadt- und Staatstheater anknüpfe mit ihren aus dem Stadtbild herausragenden Prachtbauten.

Vom Großen Schauspielhaus zum Friedrichstadt Palast

„Die Geschichte der Spielstätten lässt sich anhand der Theaterbausammlung nachvollziehen“, erläutert Jan Lazardzig. Und auch, welche Kulturbauten nach Kriegsende in welcher Form wiederaufgebaut worden seien: in Berlin zum Beispiel das Große Schauspielhaus. Dieses Paradebeispiel für die wechselhafte Historie von Theaterbauten war zunächst ein Ort für Zirkusvorstellungen, bevor es von der Deutschen National-Theater AG aufgekauft und von Architekt Hans Poelzig zur Wirkungsstätte für den Avantgarde-Regisseur Max Reinhardt umgebaut wurde. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme ein „Theater des Volkes“, wurde es 1947 in den historisch anmutenden Namen „Friedrichstadt-Palast“ umbenannt, enteignet und staatlich geführt. Mitte der 1980er Jahre riss die DDR-Regierung das beschädigte Gebäude ab und errichtete als letzten vollendeten Prachtbau ganz in der Nähe den neuen Palast – wieder als Revuetheater, aber mit nach griechischer Tradition amphitheatral angelegten Plätzen und der größten Theaterbühne der Welt.

„Wir sehen immer wieder das Bemühen, nach einem politischen Umbruch für eine neue Gesellschaft neue Gebäude und damit Theatertraditionen zu entwickeln. Gleichzeitig dienen die alten Wissensbestände als Grundlage.“ Die Theaterbausammlung selbst dokumentiere verschiedene politische Systeme. Diese „epistemischen Kontinuitäten und Brüche“ interessierten die beteiligten Expertinnen und Experten, resümiert Jan Lazardzig. Jede Disziplin habe dabei einen anderen Blick auf das Forschungsfeld: „Wir tauschen uns zunächst über unsere jeweiligen Vorstellungen von Theaterbau aus – aus architekturgeschichtlicher, technischer – also praxisbezogener – sowie theaterwissenschaftlicher Perspektive, bei der es um Raumkonzepte oder ästhetische Vorstellungen geht.“

Ein aktuelles Politikum ist das Schauspiel in Frankfurt

Das Vorhaben erlaubt nicht nur den Blick in die Vergangenheit, sondern regt auch zur Diskussion über aktuelle Fragen zu Erhalt und Pflege der deutschen Theaterbaulandschaft an. Ein Politikum sei zurzeit zum Beispiel das Schauspiel in Frankfurt am Main, sagt Jan Lazardzig. Das teilweise kriegszerstörte Gebäude in der Stadtmitte wurde in zeitgemäßer Form wiederaufgebaut und erweitert. Nun steht die Sanierung an; debattiert wird unter anderem, ob nicht ein Neubau in weniger zentraler Lage entstehen soll.

„Die Kernfrage ist: Haben wir heute noch die gleiche Vorstellung von Öffentlichkeit, die Spielstätten wie diese hervorgebracht hat?“ Die Theaterbausammlung gebe Auskunft darüber, wie die Architektur der Nachkriegstheater die Ausbildung einer demokratischen Gemeinschaft unterstützen sollte. Die „großen Klötze“ in den Innenstädten wollten eine einheitliche städtische Gemeinschaft repräsentieren. Statt Logen gibt es einen Zuschauerraum nach Vorbild des antiken Griechenlands, in dem das Publikum von allen Plätzen aus unverstellte Sicht auf die Bühne hat und die Möglichkeit zur Zuschauerbeteiligung besteht. „Das Verständnis der historischen Bauten und der hinter deren Bauweise stehenden Überlegungen erlaubt es uns, Theater heute neu zu denken“, sagt Jan Lazardzig: „Angesichts hybrider, geteilter Öffentlichkeiten, einem Bedeutungsverlust der Innenstädte und aufgrund der durch die Corona-Pandemie notwendig gewordenen digitalen Entwicklungen ist das auch sinnvoll.“

Jennifer Gaschler

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