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Eine Aktivistin im Gespensterkostüm hält ein Protestschild nahe dem Organisationsbüro des Volksbegehrens «Deutsche Wohnen & Co. enteignen» in die Kamera. Auf dem Schild ist zu lesen «Spekulanten eure Zeit ist im, das Gespenst der Enteignung geht um!». Am 26.02.2021 beginnt die zweite Unterschriftenphase des Volksbegehrens um einen Volksentscheid herbeizuführen. Ziel ist mit einem Volksentscheid den Berliner Senat aufzufordern, ein Gesetz zu erlassen, welches die Vergesellschaftung der Wohnungen von privaten Wohnungsgesellschaften, mit mehr als 3000 Berliner Wohnungen regelt. +++ dpa-Bildfunk +++

© Christoph Soeder/dpa

Enteignungsgesetz in Berlin: Die Vergesellschaftungsdebatte könnte das Jahrzehnt prägen – gut so!

Selbst SPD und CDU wollen in Berlin an einem Enteignungsrahmengesetz arbeiten. Im Kampf gegen Konzerne, die sich nicht an die Spielregeln halten, könnte das eine bahnbrechende Idee sein.

Ein Kommentar von Julius Betschka

Die Nachricht sorgte Ende Februar deutschlandweit für Aufsehen: Auch SPD und CDU wollen in Berlin an einem Rahmengesetz für Enteignungen arbeiten. So ist es im Koalitionsvertrag der beiden künftigen Partner vorgesehen. Aber was heißt das eigentlich? Ist alles nur eine Verzögerungstaktik, um den Enteignungsvolksentscheid von 2021 endgültig politisch zu beerdigen? Es kommt drauf an: auf die handelnden Personen und auf den Druck, den die öffentliche Debatte bei diesem Thema noch auslöst.

Der Grundgedanke des geplanten Enteignungsrahmengesetzes könnte nämlich bahnbrechend sein und – richtig eingesetzt – die politischen Debatten des laufenden Jahrzehnts prägen.

Die ursprünglich von SPD, Linken und Grünen gemeinsam ersonnene Idee könnte eine neue Waffe des Staates im Kampf gegen Konzerne sein, die nicht nach den im Grundgesetz vereinbarten Regeln des Zusammenlebens spielen. Etwa: Eigentum verpflichtet. Zum Beispiel dazu, sich an Gesetze zu halten – das gilt für Mieterschutz genauso wie für Klimaschutz.

Das Enteignungsrahmengesetz ist explizit für den gesamten Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge gedacht. Was wäre, wenn Energiekonzerne dazu verpflichtet werden könnten, nur noch Geld mit erneuerbaren Energien zu verdienen und andernfalls ihre Gewinne vergesellschaftet werden könnten?

Was wäre mit einem Gesetz, das legale staatliche Eingriffe in einen Wohnungsmarkt erlaubt, auf dem Immobilienfirmen durch Tricks und Gesetzesverstöße die Mieter auspressen? Oder mit einem, das es Krankenhauskonzernen unmöglich macht, ihre Hospitäler im ländlichen Raum zu schließen, weil sie sich nicht rentieren?

Das alles sind nur erste Beispiele. Sie könnten aber laut dem Grundgesetz möglich sein. Artikel 15 erlaubt explizit Vergesellschaftungen. Das ist nicht nur etwas anderes als entschädigungslose Enteignungen in der DDR, sondern fand zur von der SPD forcierten Einführung nach dem Zweiten Weltkrieg sogar mal die Zustimmung der CDU. Die wollte so Ende der Vierzigerjahre laut ihrem Ahlener Wirtschaftsprogramm Kohlekraft wieder in staatliche Hand bringen. Lang ist’s her.

Unbestritten ist, dass ein Enteignungsrahmengesetz juristisch heikel ist. Es berührt zentrale Fragen der Verfasstheit unserer liberalen Gesellschaft. Die verfassungswissenschaftliche Literatur dazu widerspricht sich teils diametral.

Genau deshalb ist es eine gute Idee, ein mögliches Gesetz zwei Jahre lang durch das Bundesverfassungsgericht prüfen zu lassen – und eben keine dümmliche Verzögerungstaktik.

Die Debatte um rechtssichere Vergesellschaftungen könnte ein ganzes Jahrzehnt politisch prägen. Dass der Staat in einer Zeit der Dauerkrisen auf neue Waffen angewiesen sein könnte, um handlungsfähig zu bleiben, scheint jedenfalls sehr wahrscheinlich. Die Chance für diese Debatte ist jetzt da. CDU und SPD müssen sich an ihre Wurzeln erinnern und sie verantwortungsvoll führen.

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