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Raumschiff Enterprise

© picture-alliance / dpa/dpa

J.O. Morgans Erzählungen „Der Apparat“: Neue Maschinen, alte Probleme

Der schottische Lyriker entwirft in seinen Erzählungen eine schöne neue Welt der Teleportation in unterschiedlichsten Konstellationen und Situationen.

Scotty, beam me up! Millionen von Star-Trek-Fans kennen den Befehl, der seit dem medialen Auftritt der Enterprise ganze Kino- und TV-Generationen fantasieren ließ. Der schottische Lyriker J.O. Morgan nimmt die Vorstellung, Menschen sekundenschnell von einem Ort zu einem anderen zu versetzen, fast 50 Jahre nach ihrer Erfindung in seinem zweiten Roman „Der Apparat“ noch einmal auf. Könnte es durch die Entwicklung von Quantencomputern mit ihrer unermesslichen Rechenleistung möglich sein, menschliche Materie in Einzeldaten zu zerlegen, durchs Netz zu schicken und andernorts wieder blitzschnell zusammenzusetzen?

In ungemein unterhaltsamen elf Erzählungen exerziert Morgan dieses gigantische Menschheitsexperiment durch. Es beginnt mit einem lauten, rappelnden Riesenapparat, der einen Plastikeierlöffel „verschickt“ und die Küche zum Laboratorium der Zukunft werden lässt. Wie wunderbar, wenn Wohnungsumzüge nicht mehr im Schweiße des Angesichts gemacht werden müssten und sich Bahnstreiks oder umständliche Flugreisen umgehen ließen, wenn man sich einfach in einen Kasten setzte und „teleportiert“ würde.

Natürlich käme es, wie bei jeder menschlichen Erfindung, dabei auch zu Irrtümern und Unfällen, jugendliche Hacker versuchten das System in bester Absicht zu verbessern und würden dafür sorgen, „die Welt anzuhalten“. Maschine „versteht“ nämlich nichts, sie muss nur funktionieren, auch wenn ihre Konstrukteure sie immer weniger durchschauen.

Irgendwo müssen die Dinge hin

Am Ende kann es, wie Morgan in einer anderen Geschichte fabuliert, sogar vorkommen, dass Menschen „verschwinden“ und irgendwo anders auf der Welt wiederauftauchen. Nur eines ist sicher: Verloren geht nichts, die Daten bleiben erhalten und als Abfallentsorgungssystem taugt die Technologie nicht: „Irgendwo müssen die Dinge hin.“

Morgan, den man auch in der „lyrikline“ der Berliner Literaturwerkstatt hören kann, entwirft diese schöne neue Welt der Teleportation in unterschiedlichsten Konstellationen und Situationen, mit viel Freude am Detail und an Erzählformen: Klassische Erzählungen wechseln mit Kindergeschichten, in einem klandestinen Telefongespräch lotet ein Versicherungsagent die Risiken der Technik aus.

Oder man folgt der investigativen Spurensuche einer Reporterin. Manche der Protagonisten geben sich als überzeugte Versuchskaninchen her und werden dabei aggressiv; oder sie stürzen sich, wie der pflegebedürftige Vater von Anna, der die teuflische Technik eigentlich ablehnt, in ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang, weil er sich von dem neuen System „Mobilitätshilfe“ erhofft.

Doch die so leicht-sinnig abgespulten Parabeln sind technologiekritisch grundiert und werfen elementare Fragen auf. Handelt es sich bei dem umgezogenen Kunstwerk nach seiner Replikation tatsächlich noch um das Original? Hält die Technologie ihr Versprechen, Waren zu verbilligen, oder ist das gar nicht beabsichtigt, weil sich die Leute sonst „arm“ vorkämen? Und was ist der Mensch eigentlich während der Sekunde seines Transports, existiert er überhaupt noch? Gar nicht zu reden von dem, was nach seiner Wiederzusammensetzung herauskommt. Ist er dann noch er selbst? Und: Haben wir überhaupt noch die freie Wahl?

„Wir glauben nur, dass wir vorankommen“, enthüllt einer dieser Gralssucher. Doch „in Wahrheit bewegen wir uns nur immer seitwärts. Drehen uns im Kreis.“ Selbst dann, wenn es so aussieht, als ob der Mensch auf dem Mond neue Ziele fände: „Die müssen also neue Maschinen auf dem Mond bauen, damit sie neue Mineralien herunterschicken können, um hier unten neue Maschinen zu bauen, damit sie neue Leute auf den Mond schicken können?“ Morgans Dystopie hat ein realistisches Fundament – und ist dabei dennoch höchst vergnüglich.

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