zum Hauptinhalt
Demonstranten protestieren gegen den Auftritt von Anna Netrebko im Staatstheater in Wiesbaden, im Mai dieses Jahres.

© dpa/Helmut Fricke

Streit um Anna Netrebko: Die Lady und der Krieg

Am Freitag tritt die russische Diva an Berlins Staatsoper Unter den Linden in Verdis Mörderstück „Macbeth“ auf. Ihr Auftritt ist höchst umstritten - es geht um die Freiheit der Kunst und ihre moralische Verantwortung. Neutral darstellen kann Netrebko das Stück zumal als Russin nicht.

Der letzte ernsthafte Berliner Opernskandal liegt einige Jahre zurück. In der Inszenierung von Hans Neuenfels erregte Mozarts „Idomeneo“ im September 2006 international Aufsehen, als die Deutsche Oper das Stück wegen angeblicher islamistischer Bedrohung absetzte. Die Stadt war in Aufruhr. Alles drehte sich um eine verschwindend kurze Szene, in der die abgeschlagenen Köpfe einiger Götter und Propheten, darunter Mohammed, auf der Bühne zu sehen waren.

Die Aufregung um Anna Netrebkos angekündigtes Gastspiel in der Staatsoper Unter den Linden lässt sich damit kaum vergleichen. Und doch geht es wieder um die Freiheit der Kunst. Und um die Verantwortung, die moralische Haltung von Künstlerinnen und Künstlern. Da sind die Ansprüche seither deutlich gestiegen. Kunst wird auch bei uns immer mehr politisch eingespannt, sie soll aktuell sein, auf der richtigen Seite stehen.

Das fühlt sich nicht gut an

Anna Netrebko in Berlin? Das fühlt sich nicht gut an, egal wie, am Tag 567 des russischen Angriffskriegs. Über der russischen Operndiva, die in Wien lebt, hängt immer noch der Verdacht, dem mörderischen Putin-Regime anzuhängen. Unbestreitbar ist ihre frühere Nähe zu dem Diktator und Kriegsverbrecher. Soll man dieser Sängerin hier einen wahrscheinlich umjubelten Auftritt als Verdis Lady Macbeth erlauben? Wer könnte das verbieten? Ist die Oper unter den Blinden?

Eine Absage aus Solidarität mit der Ukraine läge in der Macht des Staatsopern-Intendanten. Nun hat Matthias Schultz mit Anna Netrebko gesprochen und sich ein persönliches Bild von der „Authentizität ihrer Angaben“ gemacht.

Auf der Homepage der Staatsoper liest sich das so: „Es ist wichtig, hier differenziert vorzugehen und zwischen vor und nach dem Kriegsausbruch zu unterscheiden. Anna Netrebko hat seitdem keine Engagements in Russland angenommen und es wurde uns seitens ihres Managements bestätigt, dass es auch weiterhin keinerlei Vorhaben für Auftritte in Russland gibt. Sie hat sowohl durch ihr Statement als auch durch ihr Handeln seit Kriegsausbruch eine klare Position eingenommen.“

Soll sie singen, in den höchsten Tönen!

Das kann man mit guten Gründen anders sehen. Berlins Kultursenator Joe Chialo wird am Freitag nicht in der Staatsoper sitzen, sondern mit dem ukrainischen Botschafter Oleksii Makeiev die Fotoausstellung „Russian War Crimes“ besuchen.

„Sehr kritisch“ sieht der Regierende Bürgermeister Kai Wegner Netrebkos bevorstehenden Auftritt. Er bedauert, „dass eine internationale erfolgreiche Sängerin wie Anna Netrebko sich bis heute nicht klar und unmissverständlich von dem russischen Angriffskrieg und Putin distanziert hat“. Doch anders als in Russland sei die Freiheit von Kunst und Kultur in unserem Land ein hohes Gut.

Niemand ist gezwungen, in die Oper zu gehen

Soll sie singen in den höchsten Tönen! Man kann ja niemand zu bestimmten Aussagen pressen. Und niemand ist gezwungen, in die Oper zu gehen. Andererseits: Wer sonst als Netrebko könnte auf russischer Seite Putin öffentlich verurteilen? Mit Protesten vor dem Haus und auch im Saal ist zu rechnen, dieses Risiko geht die Intendanz ein.

Vor allem aber ist „Macbeth“ nicht „La Traviata“. Die Shakespeare-Geschichte führt unmittelbar in Krieg und Untergang. Lady Macbeth treibt ihren Mann zum Morden an, um die Königskrone zu erringen. Macbeth geht unter in der Schlacht. Die Lady stirbt im Wahnsinn. Ob sie das schlechte Gewissen umbringt oder die Angst vor der Niederlage, ist hier eine große Frage.

„Macbeth“-Regisseur Harry Kupfer lebt nicht mehr. Er kann nicht klärend eingreifen. Es geht auf der Bühne um Machtgier, Verblendung und Gemetzel, um Schuld und Sühne. In der heutigen Lage lässt sich Lady Macbeth zumal von einer Russin wohl kaum neutral darstellen. Die Hoffnung ruht auf Verdi. Und dazu muss die Diva sich verhalten, ob sie will oder nicht. In dem Opernklassiker hat sie Blut an den Händen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false