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Einst verstanden sie sich als natürliche Partner: Aber die SPD von Bundeskanzler Olaf Scholz und die Grünen von Wirtschaftsminister Robert Habeck geraten in der Ampel häufig aneinander.

© Imago/Photothek/Florian Gaertner

Rot-Grün als Auslaufmodell: Die einstigen Verbündeten haben sich entfremdet

Einst verstanden sich SPD und Grüne als natürliche Partner. Zur Beginn der Ampel lag diese Stimmung in der Luft. Inzwischen blickt die SPD mit Ärger und Frust auf den Koalitionspartner.

Selbst Wohlmeinende, diejenigen also, die eigentlich nie als Scharfmacher auffallen, können, ja wollen, ihren Ärger nicht mehr verbergen.

„Das Verschieben des Wachstumschancengesetzes ist für mich nicht nachvollziehbar“, sagt SPD-Fraktionsvize Verena Hubertz. Spätestens nach den Erfahrungen mit dem Heizungsgesetz müsse „allen bewusst sein, dass es nur gemeinsam konstruktiv nach vorne gehen kann“.

„Allen“ – damit zielt Hubertz in diesem Falle auf die Grünen, konkret Familienministerin Lisa Paus (Grüne), die ja das Wachstumschancengesetz wirkungsvoll blockiert. Paus will eine Art Junktim, Lindners Gesetz nur parallel zu ihrem Gesetzentwurf zur Kindergrundsicherung passieren lassen, den sie indes noch immer nicht öffentlich präsentiert hat.

Wenn ich das Wort Kindergrundsicherung nochmal höre oder lese, ohne Konzept und Finanzierung, schreie ich …

Sebastian Roloff, SPD-Bundestagsabgeordneter

„Es“ – damit meint Sozialdemokratin Hubertz die Ampelkoalition, die ja vor nicht einmal zwei Jahren großspurig (und aus heutiger Sicht großmäulig) einen neuen Stil in der Politik angekündigt hatte. Es gehe nicht um eine „Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners, sondern der größten politischen Wirkung“, tönte Kanzler Olaf Scholz. Man werde nicht nur vier Jahre miteinander regieren.

Und heute? Ärger und Frust der SPD über das neueste Manöver der Grünen offenbart etwa der SPD-Abgeordnete Sebastian Roloff. „Wenn ich das Wort Kindergrundsicherung nochmal höre oder lese, ohne Konzept und Finanzierung, schreie ich ...“, twitterte Roloff.

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Roloff, muss man wissen, ist ein vehementer Anhänger einer Kindergrundsicherung. Er vermisst allein Paus‘ Konzept dazu, das trotz des Drängens des Kanzlers noch immer nicht vorliegt. Dass die Familienministerin nun bisher scheinbar konzeptionslos ein anderes Gesetz aufhält, das ist manchen Genossen dann doch zu viel des Guten.

Habeck warnte vor Koalitionsstreit

Wie hatte noch der grüne Vizekanzler Robert Habeck vor der Sommerpause gemahnt? „Eine Regierung, die sich öffentlich streitet wie die Kesselflicker, ist nicht gut.“ Schon im April befand SPD-Chef Lars Klingbeil: „Die ständige Nabelschau der Koalition bringt nichts und niemanden voran.“

Paus übrigens blockiert nicht zum ersten Mal gemeinsame Entscheidungen der Ampel. Wochenlang hielt sie die Einstufung von Georgien und Moldau als sichere Herkunftsländer auf, pikanterweise, während ihre Parteifreundin, Außenministerin Annalena Baerbock, deren EU-Beitrittsperspektive vorantreibt.

Grüne und FDP haben lange nicht im Bund regiert

Aus Sicht der SPD zeigt sich hier ein Muster, auf zwei Ebenen. Erstens: Die Grünen seien eben, wie die FDP, regierungs-unerfahren, saßen sie doch von 2005 bis 2021 in der Opposition. Von allen Grünen-Ministern stand vor Bildung der Ampel nur Habeck in exekutiver Verantwortung. Paus ist zudem gewissermaßen zweite Wahl, kam erst nach dem Rücktritt Anne Spiegels 2022 ins Amt. 

Zweitens: Die Grünen, heißt es bei der SPD, wollten gar nicht das ganze Volk vertreten, sondern nur ihre Klientel, zugespitzt: die postmaterialistischen Großstädter mit eher wenig finanziellen Sorgen. Für die sogenannten kleinen Leute interessierten sich die Grünen nicht. 

Schon über Habecks Heizungsgesetz ärgerte sich die SPD

So erzählten es führende Genossen bereits, als der Zoff um Habecks Gebäudeenergiegesetz (GEG) noch gar nicht richtig begonnen hatte. Habecks  damaliger Staatssekretär Patrick Graichen (Grüne) personifiziere die grüne Weltverbesserungs-Vision und schere sich nicht um die industrielle Substanz Deutschlands, sprich um Jobs. Es war kein Zufall, dass SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert mehrere Standorte der bayerischen Chemieindustrie besuchte, während sich Habeck beim sogenannten Heizungsgesetz zusehends vergaloppierte.

Fast zwei Jahre nach Bildung der Ampel ist der rot-grüne Honeymoon dahin. Was war damals nicht alles beschworen worden! SPD wie Grüne sahen den jeweils anderen als natürlichen Verbündeten gegen die FDP. Eine aus heutiger Sicht fast naive Vorstellung.

Auslaufmodell Rot-Grün

Die machtstrategische Lage in den Ländern verstärkt die Gegensätze, den Frust, den Ärger. Einst regierten Rote und Grüne gemeinsam etliche wichtige Bundesländer, etwa NRW und Baden-Württemberg. Nun ist Niedersachsen das letzte Überbleibsel der rot-grünen Tradition. In Hessen, wo am 8. Oktober gewählt wird, liefern sich beide Parteien einen Kampf um Platz zwei.

Wir brauchen nicht einen weiteren Streit, sondern Lösungen sowohl für die Kindergrundsicherung wie für das Wachstumschancengesetz.

Manuela Schwesig (SPD), Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern

Die SPD verübelt den Grünen die schwarz-grüne Koalition (während sie selbst zwölf lange Jahre im Bund mit CDU/CSU regiert hat). In Bayern ist der Frust der oppositionsgewohnten SPD über die Grünen noch größer, stehen sie doch in den Umfragen besser da.

Aus der SPD werden nun Rufe laut, den Zoff rasch zu beenden. Bereits der Streit um das Heizungsgesetz habe Schaden angerichtet, sagte Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) dem Tagesspiegel: „Wir brauchen nicht einen weiteren Streit, sondern Lösungen sowohl für die Kindergrundsicherung wie für das Wachstumschancengesetz.“

Der Kampf gegen die Kinderarmut sei genauso wichtig wie die Stärkung der Wirtschaft. „Deshalb müssen beide Aufgaben zusammen gelöst werden und dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden“, sagte Schwesig: „Für beide Themen braucht es klare Konzepte.“

Das SPD-Wirtschaftsforum rief ebenfalls zu einer schnellen Einigung auf. „Die müssen sich jetzt zusammenraufen endlich!“ sagte deren Präsidentin Ines Zenke dem Tagesspiegel. 

Scholz‘ Zweckoptimismus (er sagte im Frühling Wachstumsraten wie beim „Wirtschaftswunder“ voraus) gerät angesichts der trüben Konjunktur zur Farce. Und wie bitte passte die Blockade ausgerechnet eines Gesetzes, das Investitionen erleichtern soll, zu dem vom Kanzler proklamierten „Deutschlandtempo“? Derlei Sprüche laden zu Spott geradezu ein.

Im Kanzleramt weist man die Rufe danach, der Kanzler solle mal auf den Tisch hauen, ein Machtwort sprechen, gebetsmühlenartig zurück. So autoritär ließe sich heute nicht mehr regieren. Gerhard Schröders Zeiten seien eben vorbei.

Ein Hauch Selbstmitleid liegt dabei in der Luft. Scholz führe ein Kabinett, wird in der Regierungszentrale betont, in dem die beiden Koalitionspartner zusammen klar mehr Minister stellten als die SPD – ein Novum für die Fraktion des Kanzlers. Für Gerhard Schröder sei dagegen das Regieren viel einfacher gewesen, da stellte der grüne Koalitionspartner nur drei beziehungsweise vier Minister.

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