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Hippasos nutzte als einer der ersten die Wurzel aus 2, eine unendliche Zahl ohne Periode: 1,414213562…

© mauritius images / Alamy Stock P

Schnapszahldatum 22.2.22: Die Zahl 2, die Wurzel davon – und was das mit den Papiernormen zu tun hat

Den alten Griechen galt die 2 als die erste richtige Zahl, nicht die 1. Am 22.2.22 nun ist es Zeit, sie zu würdigen.

Die Olympischen Spiele in Peking sind beendet. In der bisher einzigen Stadt, die sowohl Sommer- als auch Winterspiele organisierte, begannen erstere am 8.8.08. Die Wettkämpfe bei den Winterspielen starteten am 2.2.22 und dauerten bis zum 20.2.22.

In der chinesischen Kultur gibt es einen ausgeprägten Sinn für die Schönheit und Magie von Zahlen. Die Freude am Rechnen wird Chinesen auch nicht schon in jungen Jahren durch unsinnige Zahlwörter wie „zwölf“ oder „zweitausendzweiundzwanzig“ ausgetrieben. Im Chinesischen sind Zahlwörter kürzer und leichter zu bilden als bei uns, Kinder dort wissen auffällig früh mit großen Zahlen umzugehen.

Eine ganz besondere, unendliche Zahl

Dass die Olympischen Sommerspiele offiziell am 8.8.08 eröffnet wurden, abends um 8 Uhr 8, hatte einen tieferen Grund: Die Lieblingszahl der meisten Chinesen ist die 8, die mit Glück und Reichtum assoziiert wird. Das Auswahlkriterium für meine Lieblingszahl, die 2, teile ich mit vielen Deutschen: Grund ist mein Geburtstag. Und ich halte das für eine vorzügliche Wahl. Da sich natürliche Zahlen aus Einheiten zusammensetzen, galt die 2 griechischen Mathematikern als erste Zahl überhaupt. Die Einheit selbst, die 1, wurde zunächst nicht als Zahl angesehen. Die 2 hatte auch deshalb von Beginn an eine besondere Bedeutung, weil sie die einzige gerade Primzahl ist und weil das Verdoppeln und Quadrieren überaus nützliche Rechentechniken sind. In unserer Sprache hat sie sich mit konkreten Dingen verbunden: Wir sagen Zwilling und Paar, Duett und Joch.

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Wer mit Papier zu tun hat, stößt irgendwann auch auf jene Zahl, die mit sich selbst multipliziert 2 ergibt. Wie es sich für eine Wurzel gehört, versteckt sie sich gern, im Format von Briefhüllen und Aktenordnern etwa. Auch beim Vergrößern am Fotokopierer blinken ihre ersten Ziffern standardmäßig auf. Nicht von ungefähr sind die Ursprünge dieser seltsamen Zahl mit einer Legende verknüpft.

Nachdem Pythagoras erkannt hatte, dass sich rationale Zahlenverhältnisse hinter den musikalischen Harmonien verbergen und allgegenwärtig sind, soll sein Schüler Hippasos dieses Bild zerstört haben. Ausgangspunkt seiner Überlegungen war ein Quadrat. Zwei Seiten des Quadrats bilden mit einer darin eingezeichneten Diagonale ein rechtwinkliges Dreieck. Hippasos begann zu rechnen:

Im einfachsten Fall hat das Quadrat die Seitenlänge 1. Bezeichnet man die Länge der Diagonalen mit c, so folgt aus dem Satz des Pythagoras c² = 1² + 1², also c² = 2. Für die Länge der Diagonale c erhielt Hippasos damit eine Zahl, die mit sich selbst multipliziert 2 ergibt und die sich nicht als Verhältnis zweier natürlicher Zahlen ausdrücken lässt. Heute nennen wir sie √2.

Wir wissen nicht, ob er dafür mit dem Tode bezahlen musste und jämmerlich ertrank, wie die Legende besagt. √2 jedenfalls ist unsterblich. Eine unendliche Zahl ohne jede Periode: 1,414213562… Eine irrationale Zahl, der eine besondere Bedeutung in unserem Alltag zukommt, weil wir so gerne verdoppeln und halbieren, Papierbögen falten und zerschneiden.

Eine Zahl mit und fürs Format

In der wechselvollen Geschichte des Papiers sind Formate immer wieder neu aufeinander abgestimmt worden. Bereits vor Jahrhunderten waren Bogenformate mit dem Seitenverhältnis 3 zu 4 beliebt. Die Proportion ändert sich, wenn man einen solchen Bogen über der Mitte der längeren Seite zusammenfaltet. Nach dieser Faltung beträgt das Verhältnis 2 zu 3. Bei nochmaliger Faltung entsteht ein Quartformat, mit dem das Seitenverhältnis von 3 zu 4 zurückkehrt. Das Oktavformat fällt mit 2 zu 3 wiederum etwas schmaler aus.

Pythagoras hätte seine Freude an diesem Wechsel der Proportionen gehabt. Nicht aber die geistigen Nachfahren des Hippasos, zu denen Georg Christoph Lichtenberg zählte. Dem Schriftsteller, Naturforscher und Mathematiker schwebte Ende des 18. Jahrhunderts ein stabiles Seitenverhältnis vor. Benachbarte Formate, die durch Halbierung ineinander übergehen, sollten einander ähnlich sein. Sie sollten ihre Proportionen behalten.

Beginnen wir also mit einem Bogen Papier, nennen die längere Seite a, die kürzere b. Faltet man ihn und wechselt zum nächsten Format, dann wird die b zur längeren Seite. Die andere Seite dagegen hat nun die halbe Länge von a. Nach Lichtenberg sollen die Proportionen vor und nach der Faltung gleich sein, sprich: a zu b gleich b zu a/2. Folglich ist a²/b²= 2 oder a/b = √2. Da ist sie wieder, die Zahl, die mit sich selbst multipliziert 2 ergibt!

Das so errechnete Verhältnis von 1 zu √2 liegt zwischen dem für Taschenbücher geeigneten Format 2 zu 3 und dem ein wenig breiteren, eher bei Büchern mit festem Einband vorzufindenden Format 3 zu 4. Diese Form habe etwas „angenehmes und vorzügliches vor der gewöhnlichen“, befand Lichtenberg. Eine Ansicht, die der Chemiker Wilhelm Ostwald teilte. „Man kann ohne weiteres mathematisch beweisen, dass eine einfachere und daher eindeutigere Definition der Formate nicht möglich ist“, bekräftigte der spätere Nobelpreisträger zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als Papierformate immer stärker zur Normierung tendierten.

Das von ihm angestrebte „Weltformat“ setzte sich zwar nicht durch. Aber Ostwalds ehemaliger Assistent Walter Porstmann hatte mit seinem Vorschlag Erfolg. Der Mathematiker brachte eine zusätzliche Idee ein: als Ausgangsformat einen Bogen zu wählen, der eine Fläche von einem Quadratmeter hat. Dieses Format wird heute als DIN A0 bezeichnet.

Seit hundert Jahren normiert

Im August 1922 legte der Normenausschuss der Deutschen Industrie, dessen Mitarbeiter Porstmann inzwischen geworden war, neue Maße für Papierformate fest. Seither stehen daher die Seiten eines DIN A2-, DIN A3- oder DIN-A4-Bogens in einem Verhältnis von 1 zu √2. In Zeiten industrieller Papierproduktion trägt diese Proportion zur Verminderung von Materialverlusten und Lagerungskosten bei und erleichtert den gleichzeitigen Druck unterschiedlich großer Drucksachen. Unser Auge hat sich so sehr daran gewöhnt, dass wir sie kaum mehr wahrnehmen, wohl aber Abweichungen davon.

In nahezu allen Hochkulturen hat die Zahl, die mit sich selbst multipliziert 2 ergibt, mathematische Geister zur Auseinandersetzung mit irrationalen Zahlen angeregt. Sie ermöglicht wunderschöne Serienentwicklungen und wurde von Renaissance-Architekten wie Andrea Palladio in der Proportionenlehre behandelt. Dennoch steht sie auf ewig im Schatten der 2, auch an einem der Paarbildung so förderlichen Tag wie dem 22.02.2022. Wird man einen solchen Hochzeitstag je vergessen?

Fragt sich, warum die Pekinger Spiele nicht um zwei Tage verlängert wurden. Doch die Regel vom Sonn- als Abschlusstag ist offenbar über jeden Zweifel erhaben.

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