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Die Demonstration fand am Samstag vor dem Roten Rathaus statt.

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Update

Protest vor dem Roten Rathaus: Berliner Lehrkräfte demonstrieren gegen Wegfall der 1600-Euro-Zulage

Vor dem Roten Rathaus demonstrieren Lehrkräfte am Samstag. Die Schulbehörde betont, Gehaltseinbußen seien „in der Regel“ deutlich geringer als 1600 Euro.

| Update:

Vor dem Roten Rathaus haben am Samstag Lehrkräfte und ihre Familien gegen den Wegfall der sogenannten Erfahrungszulage von bis zu 1600 Euro demonstriert. Mit Plakaten wie „Zulage geht. Wir auch!“ drohten sie, Berlin zu verlassen.

Vorgeworfen wird der Bildungsverwaltung vor allem, dass sie die neuen Kräfte bis zum Schluss im Glauben gelassen habe, sie würden mit 5800 Euro in ihr Berufsleben starten. Auch die GEW-Vorsitzende Martina Regulin kritisierte in ihrer Rede vor den Demonstrierenden die fehlende Transparenz.

Nach Polizeiangaben nahmen rund 200 Demonstranten an dem Protest teil. In ersten Schätzungen war von 400 die Rede gewesen.

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Einen Tag vor der angekündigten Demonstration hatte Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) versucht, die Befürchtungen der aufgebrachten Pädagog:inen zu zerstreuen. In einer langen Erklärung legte ihre Verwaltung am Freitag dar, dass die meisten Lehrer deutlich weniger als 1600 Euro im Monat verlieren würden.

Zudem habe die Senatorin „derzeit keinen Anlass, an der Umsetzung der im Koalitionsvertrag getroffenen Vereinbarungen zu zweifeln“, wonach Lehrkräfte bis zum 52. Geburtstag verbeamtet werden sollen.

Wie berichtet ist unter den Lehrkräften, die nicht verbeamtet werden, erhebliche Unruhe entstanden. Dies hat mit dem drohenden Verlust der genannten Zulage zu tun, aber auch damit, dass im rot-grün-roten Senat der Gesetzentwurf stockt, der die Bedingungen für Berlins Rückkehr zur Verbeamtung regeln sollte.

„Die jetzige Situation wird dazu führen, dass angehende Lehrer sich gegen die Aufnahme einer Lehrtätigkeit in Berlin entscheiden werden“, befürchtet FDP-Bildungspolitiker Paul Fresdorf. Die rot-grün-rote Koalition sei „in der Pflicht, hier nachzubessern und sich im Rahmen der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) dafür einzusetzen, dass auch weiterhin die Zulage gezahlt werden kann“, forderte Fresdorf am Sonnabend.

Wie berichtet, lässt die TdL aber keine derart hohen Zulagen zu, weshalb die Berliner Sonderregelung, die seit 2009 pauschal gilt, Ende 2022 bei neuen Verträgen auslaufen muss. Es gäbe aber stattdessen die Möglichkeit, höhere Zulagen individuell vorab zu gewähren:

Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD).

© Foto: IMAGO/Reiner Zensen

Angemeldet hatten den Protest Konstanze und Viktor Köpke, zwei Quereinsteiger. Auf das Plakat, das sie mit sich trugen, hatten sie geschrieben: „Zuerst gelockt, dann abgezockt“.

Zu den Punkten, die noch im Senat geklärt werden müssen, gehört zum einen die Altersgrenze für die Verbeamtung. Wie berichtet, hatte der Finanzsenator Bedenken angemeldet. Zwar gelten diese Bedenken als leicht auszuräumen, zumal die 52 Jahre im Koalitionsvertrag festgeschrieben waren. Dennoch werten die Betroffenen diese Verzögerung als belastend und zusätzlichen Unsicherheitsfaktor.

Das „sächsische Modell“ taucht immer wieder auf

Der andere Unsicherheitsfaktor ist die Bezahlung. Noch immer steht nicht fest, wie jene Lehrkräfte entschädigt werden sollen, die nicht verbeamtet werden können oder wollen. Zwar sagten die bildungspolitischen Sprecher von SPD und Grünen, Marcel Hopp und Louis Krüger, dem Tagesspiegel, dass sie davon ausgingen, dass das „sächsische Modell“ komme, das etwa 180 bis 280 Euro pro Monat als „Nachteilsausgleich“ bringen würde. Aber die Betroffenen hatten mehr erwartet.

Zu weiterer Enttäuschung und auch Empörung führte die Nachricht, dass künftig nicht mehr alle Lehrkräfte vom ersten Arbeitstag an so bezahlt werden, als hätten sie zehn Jahre Berufserfahrung. Diese seit 2009 geltende Berliner Besonderheit läuft aus, weil Berlin wieder verbeamtet.

Der Wegfall dieser so genannten Erfahrungsstufe 5 traf viele Lehrkräfte unerwartet, weil die Bildungsverwaltung sie nicht deutlich kommuniziert hatte. Sie verlieren bis zu 1600 Euro - je nach dem, wie viele Jahre Berufserfahrung sie mitbringen.

Astrid-Sabine Busse hat derzeit keinen Anlass, an der Umsetzung der im Koalitionsvertrag getroffenen Vereinbarungen zu zweifeln. 

Die Bildungsverwaltung

Die Bildungsverwaltung betonte aber in ihrer Mitteilung vom Freitag, dass 1600 Euro nur für absolute Berufsanfänger verloren gehen, die mit der so genannten Erfahrungsstufe 1 beginnen. „In der Regel“ würden die Lehrkräfte aber in die Erfahrungsstufen 2 oder 3 „oder sogar höher“ einsteigen.

Das liege daran, dass – etwa bei Quereinsteigenden – die berufsbegleitende Ausbildung zu Buche schlage. Was die Behörde nicht schrieb: Wie hoch die verbleibende Euro-Differenz zwischen den Erfahrungsstufen zwei und fünf oder drei und fünf ist.

Der Gehaltsunterschied beträgt 1000 bis 1600 Euro

Das verrät allerdings die offizielle Entgelttabelle. Sie zeigt, dass ein ausgebildeter Lehrer in Erfahrungsstufe 2 rund 4500 Euro verdient, in Stufe 3 4750 Euro, in Stufe 4 5215 Euro und in Stufe 5 5860 Euro. Mit anderen Worten: Die Differenz liegt dann nicht mehr bei 1600 Euro, aber immer noch bei 1000 bis 1300 Euro.

Was die Verwaltung ebenfalls nicht schreibt: Am stärksten betroffen vom Wegfall der Zulage sind die regulären Lehramtsabsolvent:innen, die nicht verbeamtet werden wollen oder können. Denn sie landen nach dem abgeschlossenen Referendariat in Stufe 1 (4188 Euro), wenn sie nicht verbeamtet werden.

Die Demonstration der Lehrkräfte am Samstag vor dem Roten Rathaus in Berlin.

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Angesichts der hohen Verluste für Lehrkräfte, die ab Januar 2023 im Angestelltenverhältnis den Dienst neu antreten, betonte die Behörde, dass auch die Quereinsteigenden verbeamtet werden können, wenn sie die Lehrerausbildung voll nachholen und jung genug sind. In diesem Zusammenhang wies die Bildungsverwaltung darauf hin, dass unter den 575 aktuellen Quereinsteigenden nur ein Siebtel älter als 51 sei. Mithin könnten sie noch verbeamtet werden, sofern die Koalition nicht unerwartet anders entscheidet.

Schulleitungsverbände appellieren an Giffey

Angesichts der vielen offenen Fragen und dem ausbleibendem Gesetzentwurf wandten sich diese Woche alle fünf großen Schulleitungsverbände an die Regierende Bürgermeisterin und mahnten zur Eile. Es gehe nicht an, dass Senatorin Busse mit Hinweis auf fehlende Mitarbeiter in der Personalstelle oder der Finanzsenator mit Hinweis auf die Einrichtung eine Pensionsfonds die Verbeamtung der Bestandslehrkräfte hinauszögerten.

„Wir haben dafür kein Verständnis, zumal wesentliche Teile der Verbeamtung nicht durch die Verwaltung, sondern durch die Schulleitungen oder durch Dritte zu bearbeiten sind“, schreiben die Verbände. Es erschließe sich auch nicht, warum die Bearbeitung der Verbeamtung von Lehrkräften, für die die wesentlichen Daten in elektronischer Form vorliegen und überprüft sind, „die Verwaltung im Personalbereich vollständig überfordern und selbst dann über Jahre beschäftigen soll, wenn sie in erheblichem Umfang zusätzliches Personal erhält“.

Uns ist dabei wichtig, dass wir das Maximum an finanziellem Ausgleich ausreizen, das mit der Tarifgemeinschaft deutscher Länder vereinbar ist.

Marcel Hopp (SPD), Abgeordneter und bildungspolitischer Sprecher

Die Verbände drängen zudem darauf, dass die Verbeamtung bis zum 52. Geburtstag endlich klar festgelegt wird. Von der Verunsicherung profitierten doch nur die anderen Bundesländer, die ebenfalls dringend Lehrkräfte suchten. Für die SPD sagte ihr Bildungspolitiker Marcel Hopp, er gehe „fest davon aus, dass die Altersgrenze 52 - wie im Koalitionsvertrag geeint – weiter Bestand haben wird“.

Anfang Oktober soll der Gesetzentwurf vorliegen

Allerdings sei der Senat „noch in letzten Abstimmungen“ so dass man sich „noch ein paar Tage“ gedulden müsse, bis der Entwurf des Artikelgesetztes vorliege. Die Rede ist in der Koalition von Anfang Oktober.

Zum finanziellen Ausgleich für die Angestellten werde die Senatsverwaltung für Finanzen eine Stellungnahme für das Parlament erstellen, berichtete Hopp zudem. Anschließend würden die Abgeordnete besser einschätzen können, wie hoch der finanzielle Ausgleich im Sinne der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) sein dürfe.

„Uns ist dabei aber wichtig, dass wir das Maximum an finanziellem Ausgleich ausreizen, das mit der TdL vereinbar ist“, betonte Hopp.

Die Schulleitungsverbände sorgen sich vor allem darum, dass noch mehr Lehrkräfte abwandern. Seit Berlin im Jahr 2004 mit der Verbeamtung von Lehrkräften aufhörte, mussten sie Jahr für Jahr erleben, dass die Jungen und Flexiblen und vor allem die Mangelfachlehrkräfte gingen, die überall in Deutschland knapp sind. Der langjährige Vizevorsitzende des Gesamtpersonalrats, Dieter Haase, geht davon aus, dass 6000, eher 8000 Lehrkräfte verloren gingen.

Darum steht im Mittelpunkt ihres zweiseitigen Briefes an Giffey die Forderung, dass sie sich für ein schnelles Verfahren stark machen möge. Am Schluss ihres Briefes schreiben sie daher in Anspielung an den Comic „Berliner Schnuppen“ aus dem Checkpoint-Newsletter des Tagesspiegels: „Dit könnte (viel schneller) jehn“.

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