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Delias eucharis, ein mittelgroßer Schmetterling Süd- und Südostasiens, ist ein Beispiel für eine Insektenart, deren Verbreitungsgebiet von Schutzgebieten nur unzureichend abgedeckt wird.

© Shawan Chowdhury

Schutz für die Dinosaurierameise & Co.: Verbreitungsgebiete von Insektenarten schlecht abgedeckt

Die Datenlage zu Insektenvorkommen weltweit ist dünn. Aber eine erste Auswertung zeigt, dass die artenreiche Tiergruppe bislang wenig von Schutzgebieten hat.

„Insekten wurden bei der Ausweisung neuer Schutzgebiete häufig nicht als Schwerpunktgruppe berücksichtigt“, sagt Shawan Chowdhury. In der Regel seien es Wirbeltiere, auf die die Schutzziele zugeschnitten werden. Deren Anforderungen an den Lebensraum unterscheiden sich aber häufig von denen der Insekten. „Für eine Artengruppe, die einen so großen Teil des Tierreichs ausmacht und vielfältige Ökosystemfunktionen erfüllt, ist das beunruhigend“, sagt Chowdhury.

Ein internationales Forschungsteam um den Wissenschaftler vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) hat erstmals vorhandene Daten zu den Verbreitungsgebieten von Insekten und ihrer Überschneidung mit bestehenden Schutzgebieten abgeglichen. In der Zeitschrift „One Earth“ veröffentlichte es jetzt die Ergebnisse.

Fliegen erfüllen wichtige Ökosystemfunktionen als Nahrung für viele Tiere und ihre Larven zersetzen organisches Material und tragen damit zur Produktion von fruchtbarem Boden bei.

© Shawan Chowdhury

Die Forschenden haben die Verbreitung von 89.151 Insektenarten, zu denen Daten in der Biodiversitätsdatenbank „Global Biodiversity Information Facility“ vorliegen, mit globalen Karten von Schutzgebieten abgeglichen.

Eine weit verbreitete Insektenart wurde als „angemessen repräsentiert“ eingestuft, wenn mindestens 15 Prozent ihres Verbreitungsgebiets unter Schutz stehen. Dieser Grenzwert orientiert sich am Anteil der weltweit geschützten Landfläche, der aktuell bei etwa 16 Prozent liegt. Für eine Art, die nur regional vorkommt, wurde der Grenzwert höher angesetzt und beträgt für Arten mit sehr kleinem Verbreitungsgebiet bis zu 100 Prozent.

Der Vergleich zeigt, dass die Lebensräume von 76 Prozent der erfassten Insektenarten nicht ausreichend von Schutzgebieten abgedeckt werden. Darunter sind mehrere Arten wie die Dinosaurierameise (Nothomyrmecia macrops), die Blutrote Hawaii-Wasserjungfer (Megalagrion leptodemas) und die Bärenspinnerart Apantesis phalerata stark gefährdet. Bei 1876 Arten überschneiden sich die Verbreitungsgebiete überhaupt nicht mit Schutzgebieten.

„Viele Insektendaten stammen aus Schutzgebieten, daher dachten wir, dass der Anteil der Arten, die in Schutzgebieten zu finden sind, höher sein würde“, sagt Chowdhury. Das Defizit sei aber größer als bei Wirbeltieren, bei denen eine ähnliche Analyse eine unzureichende Schutzgebietsabdeckung für 57 Prozent der Arten ergeben hat.

Bei den Insektenzeigten sich auch regionale Unterschiede. In Amazonien, Süd- und Mittelamerika, Afrika südlich der Sahara, Westaustralien und auch Mitteleuropa sind sie besser geschützt als in Nordamerika, Osteuropa, Süd- und Südostasien sowie weiten Teilen Australiens.

Um weltweit bewerten zu können, wie gut Insekten geschützt sind, seien jedoch „wesentlich bessere“ Daten erforderlich, sagt Studienautor Richard Fuller von der Universität Queensland. „Vor allem Regionen mit hoher biologischer Vielfalt wie die Tropen sind in den Monitoringprogrammen bisher völlig unterrepräsentiert.“ Die in der Auswertung verwendeten Daten könnten daher Verzerrungen aufweisen.

Kritik an Datengrundlage

„Die Ergebnisse der Studie sind leider alles andere als repräsentativ“, sagte Christoph Scherber vom Zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koenig in Bonn dem Science Media Center Deutschland (SMC). Die Studie sei der erste Versuch, eine Schätzung für die gesamte Landfläche der Erde abzugeben und der ermittelte Wert von 76 Prozent überraschend hoch. „Mit 90.000 Arten deckt die Studie gerade einmal neun Prozent der weltweit vorkommenden Insekten ab“, bemängelt Scherber. Die Gesamtzahl der Insektenarten wird auf fünf bis sechs Millionen geschätzt.

Mindestens 60 Prozent aller Vogelarten nutzen Insekten als Nahrung.

© Shawan Chowdhury

Scherber kritisiert, dass ausschließlich Daten aus der Global Biodiversity Information Facility eingeflossen sind. „Diese Daten wurden freiwillig gesammelt und es gibt kaum eine Qualitätskontrolle.“

„Die Schätzungen der Studie sind wegen dieser schlechten Datenlage mit Vorsicht zu genießen“, sagt auch Teja Tscharntke, Agrarökologe an der Universität Göttingen. Von wenigen Funddaten pro Art auf den Anteil des Verbreitungsgebiets zu schließen, der durch Schutzgebiete abgedeckt ist, sei „waghalsig“. „Allerdings halte ich die Größenordnung der Einschätzung für realistisch, dass Schutzgebiete für die Erhaltung von mehr als drei Viertel aller Insektenarten nicht ausreichen“, sagte er dem SMC. Insekten seien elementarer Bestandteil fast aller Ökosysteme und 16 Prozent bestehende Schutzgebiete könnten deshalb für ihr Überleben keine ausreichende Grundlage sein.

Die Zahl der Insekten geht in den letzten Jahrzehnten in vielen Teilen der Welt zurück. Schutzgebiete könnten einen wesentlichen Beitrag zum Schutz bedrohter Insektenarten leisten. Die Forschenden vom iDiv, vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, von der Universität Jena und der Universität Queensland in Australien empfehlen Entscheidungsträgern, Insekten bei der Umsetzung der neuen Ziele der UN-Konvention zur biologischen Vielfalt angemessen zu berücksichtigen.

Die Mitgliedsstaaten des UN-Übereinkommens über die biologische Vielfalt (CBD) haben sich kürzlich zum Ziel gesetzt, bis 2030 mindestens 30 Prozent der Land-, Binnengewässer-, Küsten- und Meeresflächen als Schutzgebiete zu erhalten.

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